Geschichte der Seelsorge
von Pater Dr. Erwin Helmle
1. Die früheren Jahrhunderte
Von einer Gemeinde der Katholiken deutscher Sprache konnte man eigentlich erst von 1927 an sprechen. Damals kam der aus Österreich stammende Viktor Wurzer nach Lissabon, um die Seelsorge der
deutschsprechenden Katholiken zu übernehmen. Aber auch schon in früheren Jahrhunderten waren die Angehörigen des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" nicht ohne Betreuung. Die erste
Zelle einer solchen geistlichen Heimat waren Kirche und Friedhof von São Vicente da Fora. Auf dem Gottesacker dort waren die gefallenen Kreuzfahrer begraben, die bei der Eroberung von Lissabon
ihr Leben gelassen hatten.
Viele von den Kreuzfahrern, die dem ersten König von Portugal, Alfons Heinrich I. (1128 - 1185) geholfen hatten, Lissabon zu erobern, zogen weiter ins Heilige Land. Andere blieben in Portugal und
siedelten sich in den von den Mauren verlassenen Gebieten nördlich von Lissabon an. Andere traten in den Dienst des Königs, um weiter gegen die Mauren zu kämpfen. Dieser Gruppe dürften auch die
Vorfahren des hl. Antonius angehört haben, die Ritter von Bouillon, welche aus Niederlothringen stammten und vielleicht mit dem ersten König von Jerusalem verwandt waren.
Den Kreuzfahrern und deren Nachfahren folgten in Lissabon die Kaufleute aus dem Norden. 1293 gründeten diese eine Brüderschaft zu Ehren des Hl. Bartholomäus in einer Seitenkapelle der Kirche São
Julião. Zur Zeit der Entdeckungen finden wir zahlreiche Deutsche in Lissabon, meist Kaufleute aus Nord und Süd; auch die Fugger und Welser aus Augsburg hatten hier ihre Kontore. Zu ihnen
gesellten sich später Bombardiere, die die Kanonen der portugiesischen Marine gossen und bedienten. Bald gab es mehrere Brüderschaften, die jeweils ihre eigenen Kapellen und Kapläne hatten. Von
diesen konnte sich nur die des Hl. Bartholomäus über die Jahrhunderte hinweg retten und bis in unsere Tage bestehen. Die Kapläne dieser Brüderschaften nahmen sich natürlich auch der übrigen
katholischen Gläubigen in Lissabon an, hörten Beichte und spendeten die hl. Sakramente. Alle Missionare, die in den portugiesischen Überseeprovinzen wirken wollten, mussten über Lissabon reisen.
Das bedeutete für die meisten einen längeren Aufenthalt am Tejo. Was lag näher für diese Priester, als sich der deutschen Landsleute anzunehmen, wenn sie aus deren Heimat waren. Diese Ordensleute
kamen nicht nur an der Kapelle des Hl. Bartholomäus, sondern gewiss auch an den grossen Kirchen wie São Roque und São Francisco zum Einsatz.
Eine gezielt organisierte deutsche Seelsorge begann schliesslich mit der Ankunft der österreichischen Unbeschuhten Karmeliten im Jahre 1708. Königin Marianna von Österreich, Gattin von Johann V.
(1706 - 1750) und Schwester des deutschen Kaisers Karl VI., hatte sie gerufen. Diese tiefreligiöse Habsburgerin folgte mit ihrer Sorge um die deutschen Landsleute dem Vorbild der Mutter ihres
Gatten, der Königin Maria Sofia von Pfalz Neuburg, die sich in den kurzen Jahren ihres Lebens und Wirkens in Portugal nicht um Politik und Hofintrigen kümmerte, sondern ausschliesslich den Werken
der Caritas und der Kirche widmete. Diese deutsche Prinzessin auf dem Thron Portugals war einer späteren Königin nicht unähnlich, der wie eine Heilige verehrten Königin D. Estefania von
Hohenzollern-Sigmaringen, Gattin von D. Pedro V, (1853-61).
Königin Marianna umsorgte ihre Karmeliten beständig: Im Jahre 1737 wurde ihre Kirche und das dazugehörende Spital zu Ehren des hl. Johannes Nepomuk feierlich eingeweiht. Die Königin fertigte mit
ihrer aussergewöhnlichen Kunst der Stickerei das Velum des Tabernakels für dieses Gotteshaus, das als "Kirche der Deutschen" im Volke bekannt war. Noch am 16. Mai 1790 wurde hier in grosser
Feierlichkeit das Fest des Heiligen aus Prag gefeiert. Daraus kann man ersehen, es blieb auch nach dem Erdbeben die deutsche Seelsorge gewährleistet. Nicht so günstig war die Lage der
Brüderschaft von St. Bartholomäus. Am Morgen des Allerheiligenfestes des Jahres 1755 waren die Mitglieder fast vollzählig in São Julião anwesend, als die Decke der Kirche einstürzte und alle
Anwesenden umkamen. Protestantische Brüder füllten die entstandenen Lücken, ohne indessen alle Mitglieder ausmachen zu können. Der katholische Charakter der Brüderschaft blieb erhalten.
Man darf die Bartholornäusbrüderschaft nicht mit der ganzen deutschen Kolonie gleichsetzen: Nur eine kleine Gruppe bedeutender Persönlichkeiten gehörte stets jener Organisation an, die der
grossen Mehrheit einfacher Bürger verschlossen war. Diese fühlten sich gewiss in der "deutschen" Kirche von. St. Johannes Nepomuk eher zuhause als bei den vornehmen Herren in São Julião. Die
Karmeliten besassen zwei Gotteshäuser, einmal St. Nepomuk, oberhalb der Praça Camões gelegen, und ein zweites in der Rua dos Fanqueiros Nr. 113-117. Beide Kirchen sind im Zuge des Klostersturmes
1834 verschwunden, nur in der Rua dos Fanqueiros sieht man heute noch an den Fassaden der Gebäude Reste des alten Konvents.
Es blieb also auch nach dem Erdbeben die religiöse Betreuung der Katholiken deutscher Sprache gewährleistet. Es gab noch 1755 einen deutschen Kaplan der Bartholomäusbrüderschaft aus Emmerich in
Rheinland, der damals noch ein lateinisch-portugiesisches Lexikon herausgab. Am 17. Juni 1774 ermächtigte König Josef I. die Bartholomäus-brüderschaft, ein Haus am Rocio zu errichten mit der
Auflage, den Mieterlös des Gebäudes für den Gottesdienst zu verwenden. Als die nach dem Erdbeben erbaute Kirche São Julião nochmals durch Brand zerstört wurde, musste die Brüderschaft, obwohl
deren Mitglieder zum Teil Protestanten waren, ein Siebentel der Kosten für den Wiederaufbau aufbringen.
Die grosse Tragödie für die Katholiken deutscher Sprache wurde die Vertreibung der Karmeliten im Jahre 1834: Damals wurden alle Klöster des Landes aufgehoben; nur die Nonnen durften in ihren
Konventen bleiben, bis die letzte von ihnen starb. Von den männlichen Orden machte man aus politischen Gründen Ausnahmen für die französischen Lazaristen, die irischen Dominikaner und die
Chorherren des Lateran. Es ist an sich nicht einzusehen, warum die österreichischen Karmeliten nicht auch toleriert wurden und in Lissabon bleiben konnten. Spielte da wohl die Politik Metternichs
eine Rolle, die den hiesigen Liberalen ein Dorn im Auge war? Fast hundert Jahre sollte es dauern, bis endlich wieder eine deutsche Seelsorge in Lissabon möglich wurde.
2. Gründung der Gemeinde - Prälat Wurzer
Nach 1834 war die religiöse Lage der Katholiken deutscher Sprache unerträglich. Iren, Franzosen, Italiener, selbst die Engländer hatten ihre eigenen Kirchen mit Priestern aus ihrer Heimat. Die
Deutschen mussten sich, wollten sie sich nicht in portugiesischen Gemeinden integrieren, mit der Kapelle von St. Bartholomäus in der Kirche São Julião zufrieden geben: Dort wurden die
vorgeschriebenen Messen und liturgischen Feiern von portugiesischen Geistlichen zelebriert. Aber von einer Betreuung der Katholiken deutscher Sprache war wenig mehr übrig geblieben. Auch
Ferdinand von Coburg Gotha, zunächst Prinzgemahl, später König von Portugal, versuchte kaum Hilfe für deutsche katholische Notwendigkeiten.
Erst nach dem 1. Weltkrieg, im Jahre 1927, bemühten sich Angehörige der Deutschen Gesandtschaft, vor allem der Kanzler Orlow, um einen Priester für die katholischen Landsleute in Lissabon. Damals
sorgte sich ein Priester aus Münster, Professor Dr. Schreiber, um das katholische Auslandsdeutschtum. Dieser Gelehrte traf im Tessin, in einem Sanatorium des Dr. Alexander in Agra, einen aus
Südtirol vertriebenen Geistlichen, Viktor Wurzer, ihn machte Dr. Schreiber auf die zu gründende deutsche Seelsorge in Lissabon aufmerksam.
Wurzer war Österreicher und wurde in Brixen zum Priester geweiht. Da seine Eltern früh starben, kam er als Kind in die Obhut einer Tante, die Zisterzienserin in Südtirol war. Als Neupriester
wurde Wurzer nach Bozen versetzt. Dort gab er den deutschen Kindern, gegen die italienischen Gesetze verstossend, Religionsunterricht in der Mutter-sprache. Da er Ausländer war, wurde er von den
italienischen Behörden kurzerhand des Landes verwiesen. Zuflucht fand er zunächst im Tessin, wo man ihm eine kleine Bergpfarrei übertrug; um nicht Not leiden zu müssen, fand er Hilfe im genannten
Sanatorium, wo er neben seiner Gemeinde den Kranken seelsorgliche Dienste anbieten konnte. Es war nur natürlich, dass der junge, unternehmerische Wurzer sich für Lissabon erwärmte, auch als
Erlösung aus seinen bisherigen Sorgen als armer Dorfpfarrer und Hilfsgeistlicher an einem Sanatorium, das ihn nicht eben dringend brauchte. Professor Schreiber wandte sich nun an Kardinal Schulte
von Köln, dem von Rom die Betreuung der deutschen Katholiken in Westeuropa übertragen war. So wurde Viktor Wurzer nach Lissabon berufen, wo er am 27. September 1927 ankam.
Die neue Aufgabe für einen Seelsorger der Deutschen in Lissabon war nicht einfach: Es gab keine Kirche, kein Pfarrhaus, ja nicht einmal eine Gemeinde. Mit Hilfe der Angehörigen der deutschen
Gesandtschaft wurde eine Wohnung in der Rua Braamcamp gemietet, um dem neuen Geistlichen wenigstens ein Dach über dem Kopf zu gewährleisten. Wurzers erste Sorge war, eine würdige Kirche für seine
zu sammelnde Gemeinde zu finden. Zunächst dachte er an die Kirche São Julião die damals noch als Pfarrkirche am Largo do Município bestand. De jure war immer noch ein Siebentel des Gotteshauses
Eigentum der St. Bartholomäusbrüderschaft der Deutschen. Diese liess immer noch - ja bis zum 2. Weltkrieg - sonntags Messen lesen, um den Nachweis zu erbringen, dass man den Verpflichtungen des
ursprünglichen Stiftungsvermögens nachkomme. Aber die Geistlichkeit an São Julião wollte nichts von einer deutschen Seelsorge an ihrer Kirche wissen, denn es war bekannt, dass die Mitglieder der
Brüderschaft fast ausschliesslich protestantisch waren.
Das Patriarchat schlug eine andere Lösung vor: São José dos Carpinteiros, Brüderschaftskirche der Zimmerleute von Lissabon. Das Gotteshaus, im 18. Jahrhundert erbaut, liegt sehr zentral in der
Nähe der Praça dos Restauradores, besitzt wertvolle Azulejos, schöne Altäre und ist in der Grösse geradezu ideal zu nennen. Daher fand schon am 23. Oktober 1927 hier der erste deutsche
Gottesdienst statt, und das nach fast 100 Jahren. Anwesend waren bei dieser Eröffnungsmesse, ausser einer Gruppe von Gläubigen der neuen Gemeinde, Vertreter der deutschen Gesandt-schaft, der
Konsulate der Schweiz und Österreichs.
Das nächste dringende Problem war nunmehr die Finanzierung der neuen Seelsorgstelle. Von den Mitgliedern der sich erst bildenden Gemeinde konnte man keine allzugrossen Beiträge erwarten. Doch es
gab in Köln einen Verein zu Ehren des hl. Josef, der die Hilfe für die Katholischen Auslandsgerneinden zum Ziele hatte. Von dort kam auch die erste Unterstützung für Lissabon.
Wurzer war vor dem Ende des 1. Weltkrieges geweiht worden. Im alten Österreich galt als Weihetitel der noch von Kaiser Josef II. gegründete Religionsfonds; diesem war die materielle Versorgung
der Weltgeistlichen übertragen. Durch die Abtrennung Südtirols von Österreich kam jedoch diese Finanzquelle nicht mehr in Frage. Wurzer hätte sich noch auf seinen Heimatbischof von Brixen berufen
können, aber dieser hatte im Italien jener Tage selbst keinerlei Mittel, um Priestern seines Sprengels im Ausland wirksam helfen zu können. Also musste die neue Seelsorgstelle in Lissabon
zusehen, wie sie sich finanzieren konnte. In zahlreichen periodischen "Mitteilungen" und Briefen an seine Gemeinde musste Wurzer sich um Beihilfen bemühen, da die Zuschüsse aus Köln nie
ausreichten, die ohnedies be-scheidenen Mittel für die Seelsorge aufzubringen. Vom Patriarchat Lissabon war auch nichts zu erwarten: Seit der totalen Ausplünderung der Kirche durch die Republik
1910 lebte des Klerus der meisten Pfarreien hart am Rande des Existenzminimums; für ausländische Geistliche hatte man nichts übrig. Auch in der Pastoration wollte man im Patriarchat nichts von
Privilegien für die Deutschen wissen . Wurzer nannte sich wohl schon zu Beginn Pfarrer; aber von Pfarrechten in seiner Seelsorge war keine Spur vorhanden: Taufen und Trauungen mussten stets in
den betreffenden Portugiesischen Pfarrkirchen vollzogen werden! Das wurde insbesondere für Mischehen zum Problem: Denn diese durften nicht in der Kirche, sondern nur in der Sakristei geschlossen
werden. Das brachte natürlich erhebliche Proteste seitens der Brautpaare ein. Auch waren die bürokratischen Vorschriften der Portugiesischen kirchlichen wie staatlichen Behörden für die Seelsorge
kein geringes Übel. In seiner Not wandte sich Pfarrer Wurzer nach Rom, um Abhilfe zu schaffen. Aber dieser Schritt rief nur neue Animositäten hervor, und die Dinge waren nachher schlimmer als
zuvor. Da der damals neu ernannte Kardinal Cerejeira seine Diözese zu reformieren suchte, wurden alle kanonischen Vorschriften genauestens eingehalten und alle Ausnahmen, etwa zugunsten von
Ausländern, entrüstet abgelehnt.
Selbst an der Kirche São José fehlte es nicht an Schwierigkeiten: Die Zimmerleute, Herren der Kirche, machten von ihren Rechten eifersüchtig Gebrauch. Pfarrer Wurzer durfte an der
Innenausstattung nichts ändern; es gab da eine Menge von Figuren und Andachtsgegenständen, die dem Volke hier teuer waren, dem Geschmack der Deutschen keineswegs entsprachen. Pfarrer Wurzer
durfte diese Steine des Anstosses seiner Landsleute nicht entfernen. Während der deutschen Gottesdienste waren, wie bisher gewohnt, zahlreiche Portugiesen anwesend, die bei Predigt und Lesung in
fremder Sprache redeten und störten. Auf der Strasse zogen in den Morgenstunden, also während der hl. Messe, Fischverkäuferinnen vorbei, die laut ihre Ware anpriesen und mit ihrem Schreien Gesang
und Predigt in der Kirche übertönten. São José war also in vieler Hinsicht nicht das Ideal eines Gotteshauses, wie es sich Priester und Volk gewünscht hätten. Dennoch galt in den portugiesischen
Kreisen São José bald als a igreja alemã, nur durfte man das offiziell nicht sagen. Als Pfarrer Wurzer in der Presse von einer deutschen Kirche sprach, musste er geharnischte Proteste seiner
Brüderschaft der Zimmerleute entgegennehmen: São José gehöre den Portugiesen und keineswegs den deutschen Ausländern. Bekannt wurde der Charakter der Kirche als religiöses deutsches Zentrum beim
Tod des damaligen deutschen Gesandten von Baligand, der an Pfingsten 1930 von einem Geistesgestörten ermordet worden war. Ein feierlicher Gottesdienst in São José für diesen katholischen
Diplomaten, den Wurzer noch versehen hatte, brachte Vertreter der Regierung, viele Diplomaten und vor allem Presseleute in die Kirche; neben der allseits bekannten evangelischen Kirche in
Lissabon wusste man nun auch um ein katholisches deutsches Gotteshaus.
Ausser der gottesdienstlichen Verpflichtung - jeden Sonntag eine hl. Messe um 11 Uhr - konnte Pfarrer Wurzer auch an der deutschen Schule Unterricht geben. Im Schuljahr 1928/29 z.B. gab es 95
Kinder, von denen 41 katholisch waren und wöchentlich zweimal im Glauben unterrichtet wurden. Wiederum half die Heimat dem eifrigen Seelsorger bei der Beschaffung von Lehrmaterial.
Auch die soziale Seite der Seelsorge von Pfarrer Wurzer darf nicht unerwähnt bleiben. Seine Sorge galt vor allem den zahlreichen deutschen Hauslehrerinnen in Stadt und Land. Man schätzte damals
ihr Zahl auf über 100. Wenn diese meist noch sehr jungen Mädchen stellenlos waren, brauchten sie eine Unterkunft, um nicht den Gefahren der Großstadt ausgesetzt zu sein. Wurzer fand eine geradezu
ideale Lösung: Ganz in der Nähe des Parlamentes, also sehr zentral gelegen, konnte er 1929 ein recht grosses Anwesen in der Rua do Quelhas 46 mieten.
Es handelte sich um ein geräumiges Gebäude mit vielen Zimmern und Sälen, einem parkähnlichen Garten und sogar einer schmucken Hauskapelle. Die Leitung dieses Hauses übergab Pfarrer Wurzer
Schwestern vom Roten Kreuz aus Köln-Lindental. Der Seelsorger hatte nunmehr mit einem Schlag auch ein würdiges Pfarrhaus. ja man konnte auch Forscher aus der Heimat, die an den reichen Archiven
der Stadt arbeiteten, unterbringen. Das Vermieten der Zimmer an Lehrerinnen und Angestellte in der Stadt erbrachte ausserdem einen kleinen Gewinn für die an sich stets schwache Kasse der
Gemeinde. Endlich gab es ein katholisches Zentrum für die Deutschen in Lissabon, wenn auch die Kirche vorerst noch São José blieb. Erst während des Krieges verlegte Wurzer auch die Gottesdienste
in die Rua do Quelhas.
Leider konnte Monsignore Wurzer - er war während des Krieges zum Päpstlichen Hausprälaten ernannt worden - dieses Anwesen nach dem Zusammenbruch des 3. Reiches nicht länger halten. Alle Zuschüsse
aus der Heimat blieben aus, die meisten Deutschen in Lissabon lebten in schwierigsten Verhältnissen, konnten also auch für die Seelsorge keine nennenswerten Beiträge mehr entrichten. Auch die
Zukunft sah düster aus: Der "Reichsverband für das Katholische Auslandsdeutschtum" in Berlin war aufgelöst, und niemand konnte sagen, wann wieder eine ähnliche Organisation ins Leben gerufen
würde, die den Auslandsgemeinden helfen könnte. Das soviele Jahre der Gemeinde nützliche Anwesen der Rua do Quelhas wurde dem Eigentümer zurückgegeben, der dort eine chemische Fabrik einrichtete.
Wurzer mietete für sich eine Etagenwohnung, erst in der Avenida Elias Garcia und dann in der Av. 5 de Outubro in der Nähe der Fátima-Kirche, wo er bis zu seinem Tode am 20. Juli 1971 blieb.
Mit der Aufgabe des Hauses in der Rua do Quelhas war die Gemeinde wieder ohne eigene Kirche oder Kapelle. Prälat Wurzer dachte zunächst an die Fátima-Kirche: Diese war aus dem Erlös des Verkaufes
der Kirche São Julião an die Banco de Portugal erbaut worden, hätte also auch noch eine gewisse Verpflichtung gegenüber der Brüderschaft St. Bartholomäus übernehmen müssen; man dachte etwa an die
Benützung der Krypta der Kirche für den deutschen Gottesdienst. Obwohl Monsignore Wurzer mit dem Pfarrer dieser Kirche sehr befreundet war, ja sogar in der Nähe wohnte und täglich an Werktagen
dort zelebrierte, kam diese Lösung nicht zum Tragen. Das Patriarchat wies der deutschen Seelsorge eine kleine Kapelle in der Nähe des Rato-Platzes an, "Nossa Senhora da Conceição". Es handelte
sich um die ehemalige Hauskapelle des Palastes der Condessa da Cuba. Kapelle und Nebenräume dienten der katholischen Studentenvereinigung "JEC", deren Leiter Rektor der ganzen Anlage war, als
Zentrum. Die deutschen Katholiken wurden also nur Untermieter und als solche nicht viel mehr als geduldet. Das machte sich vor allem am Sonntagmorgen bemerkbar, wenn die deutsche Liturgie
gefeiert werden sollte: Es kam nicht selten vor, dass die Messe nicht rechtzeitig beginnen konnte oder durch den Lärm der jungen Leute in den Nebenräumen gestört wurde. Trotzdem kam es zu einem
mehr oder weniger guten Verhältnis der beiden Parteien, denn Monsignore bezahlte pünktlich seine Miete und bemühte sich um manche Verbesserung der Kapelle. So liess er die Orgel reparieren,
schaffte neue Bänke und Beichtstühle an und erneuerte die gesamte elektrische Anlage! Monatlich wurden am Rato zwei Gottesdienste für die Gemeinde gefeiert. An den restlichen Sonntagen bot Wurzer
deutsche Liturgie an mehreren Orten in der Nähe der Stadt, so in Algés, Carcavelos, Costa de Caparica und schliesslich auch in Estoril. Natürlich war die Vielzahl der Gottes-dienste, bald da und
bald dort, für den Zusammenhalt der Gemeinde nicht gerade förderlich; zwar wurde mit der Post jeweils bekanntgegeben, wo die deutsche Messe stattfinde, aber letzten Endes wusste man nie genau, wo
man seine Sonntagspflicht erfüllen konnte. Die Besucherzahl der Kirchgänger nahm immer mehr ab.
Die Tätigkeit Wurzers beschränkte sich nicht nur auf Lissabon und Umgebung. Zu seiner Gemeinde gehörten die Kanarischen Inseln, die Azoren, Madeira und auch Porto. All diese Gebiete besuchte der
eifrige Priester im Laufe seiner Zeit in Lissabon. Da die Anzahl der Katholiken deutscher Sprache in all diesen Gebieten, wenn man von Porto absehen will, nur gering war, konnte er nur selten
diesen seinen Gläubigen wirksam nachgehen.
Weit über diesen Arbeitskreis hinaus wurde die Seelsorge in Spanien bei der Legion Kondor während des spanischen Bürgerkrieges sein Arbeitsfeld: jene Truppe, die die deutsche Regierung den
spanischen Nationalisten zu Hilfe sandte, besass keine Seelsorge. Da es sich um Angehörige der Luftwaffe handelte, die nach dem Konkordat von Deutschland mit dem Hl. Stuhl in diesen Vertrag nicht
einbezogen waren, konnte man diese Soldaten formal ohne religiöse Betreuung lassen. Solange die Truppe zuhause war, konnte das hingehen; aber im Felde, in den Gefahren des Krieges, in den
Lazaretten musste selbst das 3. Reich einsehen, dass man ohne Priester nicht auskam. Über die deutsche Gesandtschaft wandte man sich an Wurzer, den einzigen Geistlichen deutscher Sprache auf der
ganzen iberischen Halbinsel (die bisher bestehenden Gemeinden in Madrid und Barcelona hatten sich mit dem Beginn des Bürgerkrieges aufgelöst). Wurzer flog mit der legendären JU 52 an die Front,
zunächst nach Salamanca, dann nach Burgos und Sevilla; dieser Einsatz war nicht ungefährlich. In der Etappe, in den Lazaretten, auf den Kriegsschiffen hielt er seine Gottes-dienste. Er erzählte
gerne von einem besonderen Abenteuer, bei dem seine Maschine aus Versehen hinter den feindlichen Linien landete und der Pilot erst seinen Irrtum bemerkte, als Kinder mit erhobenen Fäusten den
kommunistischen Gruss anboten. Mit Recht erhielt Wurzer nach dem Ende des Bürgerkrieges hohe Auszeichnungen sowohl von Spanien als auch von Deutschland für seinen persönlichen Einsatz. Leider hat
er sein ganzes Archiv über diese Tätigkeit für die Soldaten der Legion Kondor nach dem Kriege vernichtet, als er hörte, dass die Alliierten in Lissabon nach gefährlichem Nazigut fahndeten.
Eine wenig bekannte Hilfe in der Not der Nachkriegszeit stellte eine Sammelaktion für deutsche Kriegs-gefangene in Frankreich dar. Es gab in Chartres ein Lager für Theologen und Priester, das aus
verschiedenen Gruppen deutscher Soldaten zusammengelegt worden war; dort konnten sie sogar ihr Studium weiterführen. Der päpstliche Nuntius in Paris, der spätere Papst Johannes XXIII, kümmerte
sich persönlich um diese Deutschen hinter Stacheldraht. Im Auftrag der Schweizer Caritas besuchte P. Helmle dieses Lager und stellte eine unfassbare Not fest. In Lissabon angekommen, berichtete
er Monsignore Wurzer von seinen Eindrücken in Chartres. Sofort schritt der Prälat zur Tat: Deutsche, Portugiesen, Bekannte und Freunde wurden zur Hilfe aufgefordert. In Kürze konnte P. Helmle
namens der Gemeinde mehrere Sendungen nach Frankreich bringen und der ärgsten Not steuern. Auch bei der Neugründung der Deutschen Schule 1953 leistete Monsignore Wurzer seinen heute leider kaum
noch bekannten Anteil. Nach Beendigung des Krieges gab es verschiedene Gruppen von Kindern, die nach der verfügten Schliessung der Schule in den Familien unterrichtet wurden; Wurzer gab
Religionsunterricht und bereitete die Kinder zur Erstkommunion und Firmung vor. Als man an die Wiedereröffnung der Schule dachte, half er nach Kräften mit, das schwierige Werk in die Tat
umzusetzen. Die Auswahl des Hauses in der Rua do Passadiço, die Beschaffung der Möbel und des Schulmaterials hat er mindestens beratend mitentschieden. Da die Mittel aus Bonn für diese
Neugründung spärlich und vor allem langsam flossen, musste er wiederholt sein persönliches Ansehen, ja seinen Kredit bei den Banken in die Waagschale werfen; tapfere Helferin in all diesen Mühen
war Baronin von Horn: Für den stets übervorsichtigen und manchmal sogar ängstlichen Prälaten ging die Baronin etwas zu stürmisch voran und er brachte berechtigte Sorgen in die Debatte, wenn man
wieder einmal Möbel oder andere notwendige Dinge erworben hatte, ohne dass Geld aus Bonn gekommen oder auch nur bewilligt war.
Ueber die Grenzen seiner Gemeinde hinaus erstreckte Wurzer nach 1945 eine europäische Suchaktion nach vermissten oder verstorbenen Angehörigen seiner Pfarrei. Durch die Caritas von Luzern und das
Internationale Rote Kreuz versandte er Tausende von Fragebögen in die ehemaligen Kriegsgebiete oder Flüchtlingsregionen. Nicht wenige Erfolge dieser Tätigkeit konnte er verbuchen. Da diese Aktion
mit grossen Opfern verbunden war, die er aus eigener Tasche finanzieren musste, verdient gerade diese seine Hilfe besondere Anerkennung.
Doch das grösste Werk der Hilfe in der Nachkriegszeit war die Kinderaktion. Die Idee brachte P. Helmle aus der Schweiz mit, wo man zahlreiche Kinder aus den vom Kriege heimgesuchten Ländern
gastfreundlich aufgenommen hatte. Warum sollte es nicht möglich sein, auch von Portugal aus eine ähnliche Hilfsaktion zu starten? Der Leiter der Schweizer Caritas, Monsignore Crivelli, versprach
seine Mitarbeit; so konnte man die beachtlichen Spesen für die Reisen von Tausenden von Kindern aus Mitteleuropa finanzieren. Zunächst kamen kleine Österreicher, dann Franzosen und schliesslich
Deutsche. Portugiesische Familien aus allen Teilen des Landes freuten sich, die kleinen Ausländer verwöhnen zu dürfen. Diese Aktion war durchführbar, weil inzwischen eine grosse Organisation dank
der Hilfe der Schweizer Caritas von Luzern aufgebaut worden war, die Caritas Portuguesa. D. Fernanda Jardim hat in Zusammenar-beit mit österreichischen, deutschen und schweizerischen Helferinnen
in wenigen Monaten Aussergewöhnliches geleistet. Wurzer reiste unermüdlich durch alle Provinzen Portugals, um die kleinen Landsleute zu besuchen und vor allem auch den portugiesischen Gastgebem
für ihre Güte zu danken. Es darf nicht verschwiegen werden, dass auch die damalige Regierung ihr Möglichstes getan hat, um die Aktion zu fördern, selbst ein Schiff wurde zur Verfügung gestellt,
das Hunderte von Kindern von Genua nach Lissabon bringen konnte. Noch heute zeugt das im ganzen Lande verbreitete Werk der Caritas Portuguesa von der damaligen Kinderaktion, gedenkt man in Wien
wie in Lissabon jener glücklichen Tage einer vollendeten christlichen Nächstenliebe.
Noch eine Hilfsaktion von Prälaten Wurzer gilt es zu erwähnen, es war seine quasi-konsularische Tätigkeit: Da es keine diplomatischen Vertretungen gab, die sich der Deutschen oder Österreicher
annehmen konnten, war es für die Bürger dieser Staaten unmöglich, offizielle Urkunden ihrer Heimat zu erhalten. In dieser schwierigen Lage waren es nur die beiden Pfarrer, die solche Dokumente
ausstellen konnten. Pfarrer Thomas von der evangelischen Gemeinde und Monsignore Wurzer von der katholischen Seelsorge wurden von den staatlichen portugiesischen Behörden als berechtigt
anerkannt, amtliche Schriftstücke zu fertigen. Wurzer erhielt später als Anerkennung für diese Hilfe zugunsten der Landsleute eine hohe österreichische Auszeichnung.
In den letzten Jahren seiner Seelsorgearbeit litt er unter den Folgen der Auseinandersetzung mit der St. Bartholomäusbrüderschaft. Der Streit mit einem Teil der Kolonie, der jahrelang gedauert
hatte, lastete wie ein dunkler Schatten auf seinem Wirken. Er zog sich immer mehr von der Umwelt zurück und vereinsamte zusehends.
Eine der letzten grossen Freuden seiner Amtszeit war der Besuch des Erzbischofs von Köln, Kardinal Frings, in Lissabon. Noch gab es in Portugal keine diplomatische Vertretung der Bundesrepublik
Deutschland. Daher wurde der Besuch des deutschen Kirchenfürsten von Deutschen wie Portugiesen als Zeichen der Erneuerung der guten Beziehun-gen zwischen beiden Staaten angesehen. Da man keine
katholische deutsche Kirche hatte, zelebrierte der hohe Gast ein Pontifikalamt in der Martireskirche am Chiado. Am Nachmittag luden Deutsche und Portugiesen den Kardinal zu einer glänzenden
Garden-Party in der schlossartigen Villa der Familie d'Orey in Sintra.
Im Frühjahr 1962 legte Prälat Wurzer aus Altersgründen sein Amt in die Hände von P. Helmle, der bisher schon in Gemeinde wie Schule mitgeholfen hatte. Wurzer konnte noch sein goldenes
Priesterjubiläum im Jahre 1967 in der jetzigen deutschen Kirche feiern und die Glückwünsche der dankbaren Gemeinde entgegennehmen. Im Sommer 1971 erkrankte er plötzlich und verschied nach wenigen
Tagen des Leidens am 20. Juli in Gegenwart seiner Freunde. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Prazeres in Lissabon.
Die Gemeinde verdankt Prälat Wurzer den Aufbau der Seelsorgestellen in Lissabon und Porto. Unvergesslich bleibt sein pastoraler Einsatz im spanischen Bürgerkrieg. Dank gebührt ihm für seine
grosse Kinderaktion, seine Hilfe zur Linderung der Not nach dem Krieg, Leistungen neben der Fülle seiner normalen Pfarrarbeit.
3. Kirche und Pfarrzentrum - P. Helmle 1962 - 1984 -(1986)
Schon im Jahre 1945 kam P. Erwin Helmle nach Lissabon. Hier wirkten seit 1940 die Pallottiner, Mitglieder der "Gesellschaft vom Katholischen Apostolat", in der vatikanischen Hilfe für die
Emigranten aus Mitteleuropa. Der ursprünglich deutsche "St.Raphaels-Verein für Auswanderer" verlegte seinen Hauptsitz von Hamburg nach Rom und erhielt vom Hl. Stuhl die Aufgabe, die
gesamtkirchliche Flüchtlingshilfe zu übernehmen. Da des Krieges wegen nur noch Lissabon als europäisches Ausreisezentrum in Frage kam, wurde hier eine Filiale der "Opere San Rafaele, geschaffen.
Uber 30 000 Juden und andere Flüchtlinge konnten dank der Hilfe des Hl. Stuhles nach Übersee ausreisen.
P. Helmle hätte schon 1943 nach Lissabon kommen sollen. Er wirkte von 1939 an in der deutschen Seelsorge in Belgrad. Seinen Posten in Lissabon konnte er wegen der Kriegsereignisse erst kurz nach
dem Kriege antreten. Die Zeit des Wartens in Rom benützte er zum Studium der Theologie der Ostkirche und zur Promovierung über slawische Orthodoxie. Von 1934 - 1939 hatte er in Salzburg die
Theologische Hochschule besucht und war 1938 in jener Stadt zum Priester geweiht worden.
Als Schweizer Bürger fand er leicht Zugang zu den Emigrantenkreisen in Lissabon und konnte mithelfen, die Flüchtlingsbetreuung weiterzuführen, soweit das nach dem Ende des Krieges noch notwendig
war. Gleichzeitig kümmerte er sich um die katholische Hochschuljugend und gründete ein Studentenheirn. Bis 1962 hielt er auch Vorlesungen am Katholischen Hochschulinstitut, der Vorgängerin der
heutigen Katholischen Universität, über Archeologie und Kunstgeschichte.
1962 wurde P. Helmle von Prälat Büttner, dem Leiter des Katholischen Auslandssekretariates, zum Nachfolger von Monsignore Wurzer berufen. Büttner kannte P. Helmle schon von Belgrad her und war
glücklich, für Lissabon eine Lösung gefunden zu haben: Prälat Wurzer, der sein Amt abgegeben hatte, konnte weiterhin in seiner Wohnung bleiben und seinen Lebensabend in Lissabon verbringen.
Als erste Aufgabe der Seelsorge wollte P. Helmle das Problem der Kirche lösen: Die kleine Kapelle am Rato genügte längst nicht mehr für die Zahl der Gottesdienstbesucher. Vorübergehend verlegte
man die Sonntagsmesse in die Klosterkirche São Pedro de Alcântara. P. Helmle war jahrelang Rektor jenes Gotteshauses gewesen, also hatte man dort keine Schwierigkeiten zu befürchten. Hier fand
nun jeden Sonn- und Feiertag die deutsche Liturgie statt. Zweimal im Monat bot die Kapelle der Familie Carneiro Pacheco in Estoril die Möglichkeit eines deutschen Gottesdienstes. Alle anderen
Aussenstationen wie Alges und Carcavelos wurden aufgegeben.
Aber auch Alcântara war keine Dauerlösung. P. Helmle suchte in ganz Lissabon einen geeigneten Kirchenraum für die Gemeinde. "Pfarrhaus" war eine Etagenwohnung in der Rua Pinheiro Chagas. Die
bitteren Erfahrungen, die Prälat Wurzer mit gemieteten Kapellen und Kirchen gemacht hatte, brachten die Idee zur Reife, eine eigene Kirche zu finden, die ausschliesslich der katholischen
deutschen Gemeinde dienen sollte.
Durch Freunde auf die "leerstehende" Kirche N. Sr.a das Dores in der Rua do Patrocínio aufmerksam gemacht, besuchte P. Helmle das seit Jahren nicht mehr benützte Gotteshaus. Die Fassade war wie
neu, aber das Innere nicht viel mehr als eine Ruine. Nur der Hochaltar erstrahlte im Glanz des Marmors, als wäre er kürzlich erstellt worden. Auch die Harmonie der Proportionen und die Grösse des
Schiffes waren ideal. Der Höhepunkt der Überraschung war die Lage der Kirche in derselben Strasse, an der sich auch der deutsche evangelische Friedhof befindet. Günstig schien nicht zuletzt auch
die Nähe der Schweizer Botschaft.
Am Sonntag nach dieser Besichtigung gab P. Helmle in der Gemeinde bekannt, dass eine alte, stilvolle und auch in der Grösse günstige Kirche gefunden sei, man werde sie nach dem Gottesdienst
aufsuchen können. Freudig überrascht zogen die Gläubigen in jene Strasse. Aber die Enttäuschung war gross: Man fand die "Ruine" unerhört schmutzig, die Wände schief, die Empore reif zum
Einstürzen. P. Helmle beruhigte seine Freunde, den Schmutz könne man reinigen, die Löcher in den Wänden verputzen, die Stabilität prüfen lassen. - Und zu Weihnachten zog man ein.
Aber noch waren nicht alle Probleme gelöst. Am Heiligen Abend waren die Altäre geschmückt, Palmzweige aus dem deutschen Friedhof verdeckten die Risse an den Wänden, die alte Krippe aus Südtirol
war aufgestellt, Kelch und Messbuch bereit. P. Helmle ging am Abend nochmals in die Kirche und stellte mit Entsetzen fest, dass der Kelch auf dem Hochaltar umgestossen, die weisse Decke mit
schwarzen Spuren beschmutzt, selbst die Krippe verändert war: Eine Kuh lag mit zerbrochenen Beinen auf dem Boden, das Jesuskind war vom Stroh verdrängt und in eine Ecke verschoben. Wer konnte
diese Freveltat begangen haben? Etwa die unzähligen Ratten, die in den Nebenräumen und der alten Sakristei jagten und pfiffen? Man stelle sich die Panik vor, wenn in der Mitternachtsmette ein
Rudel dieser fürchterlichen Tiere aufgetaucht wäre. Nein, es musste ein Katze gewesen sein, die gewohnt war, vom Altar aus auf eine höher gelegene Fensterbank zu springen und dort Tauben zu
jagen, die durch die zerbrochenen Fenster in den Raum kamen. jetzt waren die Fenster repariert, und die Katze musste ihr Revier verlassen und wieder auf den Altar zurückkehren. Also konnte die
erste deutsche hl. Handlung ohne Gefahr einer Störung in der Kirche stattfinden.
Die nächste Frage, die zur Lösung anstand, war, wenn man diese Kirche übernehmen solle, ob man kaufen oder mieten müsse. Unvorsichtigerweise hatte P. Helmle in den "Mitteilungen" die Meinung
geäussert, das Gotteshaus sei zu kaufen: Entsprechende Vorfühlungen beim Patriarchat waren bereits erfolgt. Es gäbe so viele Reparaturen am alten Gebäude, dass grosse Investitionen notwendig
würden; dazu seien Pfarrhaus und Sakristei völlig zerfallen, einige Räume nur unter Lebensgefahr zu betreten. Für fremdes Eigentum solche Summen, die erforderlich wären, auszugeben, sei sinnlos.
Man habe ja die Erfahrungen von Prälat Wurzer in Erinnerung, die er mit gemieteten Kirchen und Kapellen gemacht habe. Also Kauf! Das Kirchenblatt mit diesen Gedanken wurde auch nach Bonn gesandt.
Bald kam dann von dort das entsprechende Echo: Prälat Büttner schrieb sehr energisch zurück, von einem Kauf könne keine Rede sein. Denn in Deutschland stelle man den portugiesischen Geistlichen
überall Kirchen zur Verfügung, wo sie gebraucht würden, also könne man auch in Portugal dasselbe Entgegenkommen erwarten. Also doch nur mieten?
Damals befand sich in Lissabon ein grosser Stab deutscher Militärs, die für die neue Base in Beja tätig waren. P. Helmle wandte sich an General Herbert Becker um Hilfe. Dieser wusste Rat und
brachte die Lösung: Er überzeugte das Verteidigungsministerium in Bonn von der Notwendigkeit einer deutschen Kirche (auch) für seine Truppe und deren Angehörige. Die Behörde in der Heimat ging
auf diese Vorschläge ein und bewilligte für den Kauf einen Zuschuss von 100 000 DM. Jetzt wurde auch Prälat Büttner gewonnen. Also Kauf!
Wer war denn nun der Eigentümer dieses Gotteshauses? Seit dem 18. Jahrhundert diente diese Kirche einer Brüderschaft "Nossa Senhora das Dores e da Boa Morte". Diese hatte sie Ende des 18.
Jahrhunderts erbaut und war nach kanonischem Recht auch damals noch Besitzerin des ganzen Komplexes, also auch des Pfarrhauses und der noch vorhandenen Mobilien. Von den Mitgliedern der
Brüderschaft lebte noch ein einziger Herr, Dr. Coelho, der einer Familie angehörte, die die Kirche seit gut 100 Jahren betreut hatte. Dr. Pinto Coelho machte keinerlei Schwierigkeiten wegen eines
Kaufes der Kirche durch die katholische deutsche Gemeinde. Er hat später regelmässig auch unseren Gottesdienst besucht.
Vor dem grossen Erdbeben befand sich an der Stelle der heutigen Kirche ein Konvent des Ordens der Kamillianer, die sich nach dem Vorbild des Stifters den Kranken und Sterbenden widmeten, daher
auch das Marienbild der Schmerzensmutter, das noch aus der alten Klosterkirche stammt. Ein Kruzifix des "Herrn vom Guten Tode", ebenfalls aus der Zeit des Klosters, befindet sich heute in der
Kapelle der Schwestern gegenüber der Strasse und wird dort verehrt. Nach dem Erdbeben hatten die Patres offenbar Lissabon verlassen und die halbzerstörte Kirche ihrem Schicksal überlassen.
Religiöse Männer, die Gründer oder Neugründer der Brüderschaft mühten sich, dem Gnadenbild der Madonna eine würdige Stätte zu bereiten und begannen nach 1772 das Werk des Neubaues, der 1783
abgeschlossen war.
Das Konkordat 1940 gab der Kirche bekanntlich das Recht, die Brüderschaften neu zu organisieren. Daher konnte man auch die alte Vereinigung neu ordnen. Kardinal-Patriarch D. Antonio Cerejeira
schlug vor, die alte Brüder-schaft wie einen Aktienmantel den Mitgliedern unserer Gemeinde zu übergeben, sodass nur deutschsprechende Katholiken Brüder sein könnten. Als Gegenleistung wurde eine
Summe von 250 000 DM, zahlbar an das Patriarchat, vereinbart. Gleichzeitig wurden der Gemeinde die Rechte einer Quasi-Pfarrei zugestanden. Die entsprechenden Verträge wurden am 23. August 1965
auf der Nuntiatur unterzeichnet, zunächst von Erzbischof von Fürstenberg, dem Aposto-lischen Nuntius in Lissabon, sodann von Kardinal-Patriarch Cerejeira, von Monsignore Wittenauer, dem Vertreter
des Katholischen Auslandssekretariates, sowie von P. Helmle, dem Seelsorger der Gemeinde. Wie bei dieser Feierstunde von Erzbischof Fürstenberg mitgeteilt wurde, hatte auch der Hl. Stuhl dieses
ganze Vertragswerk gutgeheissen und lobend anerkannt.
Nach diesem glücklichen Abschluss der Verhandlungen um den Kauf der Kirche durfte endlich die katholische Gemeinde ein Gotteshaus ihr eigen nennen und mit den anderen Auslandsgemeinden, den
Italienern, Iren und Franzosen, gleichziehen. Wenn wir auch keine kanonisch vollgültigen Pfarrechte erhielten, so entsprechen die vertraglich zugestandenen Vorteile für die Gemeinde den
Privilegien einer Quasi-Pfarrei im Bereich das Patriarchats von Lissabon.
Rechtsträger gegenüber Kirche und Gemeinde wurde die Brüderschaft N. Sra. das Dores. Sie ist Besitzerin der Kirche und des Pfarrhauses. Entsprechend den Verträgen bleibt die seelsorgliche Aufgabe
dem Priester vorbehalten. Um dieser Verpflichtung gerecht zu werden, gründete P. Helmle einen Gemeinde-Kirchen-Rat, in dem die Laien ihren entsprechenden Anteil in die Leitung der Quasi-Pfarrei
einbringen können.
Dieser Kirchenvorstand war schon zu Beginn der Amtsübernahme von P. Helmle ins Leben gerufen worden. Er war keineswegs ein "Ja-Sager-Verein", der den Ideen des Seelsorgers blindlings gefolgt
wäre. Als der Kauf der Kirche zur Debatte stand, war der Präsident gegen ein solches Risiko, das Schulden mit sich bringe, von denen man nicht wisse, wer sie bezahlen könne. An eine Hilfe aus
Bonn wagte man damals noch nicht zu glauben. Als schliesslich P. Helmle auf seiner Meinung beharrte, trat der Präsident des Gemeinde-Kirchen-Rates von seinem Amte zurück; in der Gemeinde gab es
deswegen keine Probleme: Man wollte abwarten und sehen, wie die Dinge weitergingen. Und sie gingen weiter.
Zunächst war es dringend nötig, die gröbsten Schäden an der Kirche auszubessern. Der Abstellraum hinter dem Hochaltar wurde als Sakristei eingerichtet. Eine neue Treppe zur Empore musste die
frühere, baufällige, ersetzen. Die Kommunionbank wurde entfernt, denn sie war für Zeremonien wie Taufe, Erstkommunion oder Trauungen hinderlich. Ein neues Tor zum Gotteshaus musste angeschafft
werden, denn durch die bisherige Türe konnten Katzen, Hunde und Ratten ins Innere schlüpfen. Die Statik hatte man schon vorher prüfen lassen und für sicher befunden. Löcher im Boden und an den
Wänden waren leicht auszubessern. Kurz, die Kirche war in Bälde ein würdiger Raum, in dem sich die Gemeinde wohl fühlen konnte.
Die nächste Etappe war der Bau des Pfarrhauses. Das alte Haus, das noch aus dem 18. Jahrhundert stammte, war so hinfällig, dass man vom Keller aus den blauen Himmel bewundern konnte. Um ein
Unglück zu verhindern, legte man die Türen über den Fussboden, damit niemand durch die morschen Bretter in die Tiefe stürzen konnte. Das Haus war nicht mehr bewohnbar - nicht einmal die
Pfadfinder konnten in den gefährlichen Räumen tagen. Sie blieben auch weiterhin im Haus der Pallottiner in der Rua do Passadiço, das zu Beginn der Seelsorgearbeit P. Helmles durch den
Apostolischen Nuntius von Fürstenberg als Jugendzentrum der Gemeinde eingeweiht worden war.
Die Durchführung des Bauvorhabens war nur dank einer nochmaligen Hilfe durch Bonn möglich. Architekt Nuno Sampayo entwarf das Projekt, das nach langem Warten und Verhandeln von der Stadtbehörde
genehmigt wurde. Die Firma Luso-Suiça vollendete in Kürze unter Leitung von Herrn Makosch das Bauwerk. Am 26. Jänner 1969 nahm Kardinal-Patriarch Cerejeira die Weihe vor. Anwesend waren ausser
den Mitgliedern der Gemeinde die drei Botschafter der deutschsprechenden Nationen, ferner ein Vertreter der Nuntiatur. Aus Deutschland war Monsignore Wittenauer gekommen. Dieser hatte sich
zunächst recht kritisch über die alte Kirche geäussert und noch während des Baues des Pfarrhauses gemeint, wenn er früher etwas zu sagen gehabt hätte, wären Kauf und Umbau nie zustande gekommen.
Aber jetzt zeigte er sich hochzufrieden und meinte, auf der Terrasse stehend, Lissabon habe das schönste deutsche Gemeinde-zentrum der Welt... jetzt fehlte nur noch die Restaurierung der Kirche.
Von Bonn konnte man nicht schon wieder eine grössere Hilfe erbitten. Bisher schon hatte das Katholische Auslandssekretariat reichlich gespendet, Bonn hat ja nicht nur Lissabon zu betreuen,
sondern über hundert Gemeinden in der weiten Welt.
Da kam uns ein leichteres Erdbeben noch im Jahre 1969 zu Hilfe: Die Erschütterung der Erde löste ein Stück von der Decke im Chor los. Man konnte nicht wissen, ob nicht auch andere Teile des
Stuckes locker waren; also blieb nichts anderes übrig, als nochmals Bonn um Hilfe anzurufen. Prälat Wittenauer, nunmehr längst mit der "alten" Kirche ausgesöhnt, gab grünes Licht. Jetzt wurde die
Frage aktuell, wie zu restaurieren. Im Kirchen-Gemeinde-Rat wurde eine Stimme laut: "Alles billiger Barock, den Stuck runterhauen, die Altäre aus dem Schiff rauswerfen, sie stören nur, der
Hochaltar kann bleiben". Aber die Mehrzahl im Rate war anderer Meinung und stimmte P. Helmle bei, die Kirche im klassischen Stil des 18. Jahrhunderts zu erneuern. Auch die Mitglieder der
Brüderschaft, die an sich das Sagen hatten, waren dieser Ansicht.
Wem sollte man die Arbeiten übergeben? Damals hatte die Stiftung Calouste Gulbenkian das Palals Pombal in Oeiras stilgemäss restaurieren lassen: jenes Schloss gehört derselben Epoche an wie unser
Gotteshaus. Was lag näher als dieselbe Firma Baganha aus Porto zu beauftragen, für uns zu arbeiten! Im Mai 1971 verlegten wir den Gottesdienst in den Pfarrsaal. Erfahrene Kunsthandwerker
erneuerten die Decke, befestigten jedes Ornament, jede Figur. Im November konnten wir wieder in die jetzt vollendet schöne Kirche einziehen. Trotzdem zeigten sich, vor allem im Chore, von Zeit zu
Zeit neue Risse, sodass man an dieser kostbaren Stuckdecke immer wieder Ausbesserungsarbeiten vornehmen muss. Gleichzeitig wurde der schadhafte Boden des Kirchenraumes erneuert. Die Firma "Somec"
erbot sich, mit Asphalt und Beton der Bodenfeuchtigkeit des Gotteshauses ein Ende zu machen - und das gratis.
Zur Schönheit der Kirche tragen nicht zuletzt wertvolle Azulejos bei. Diese wurden unserem Gotteshaus von Botschafter Dr. Schaffarczyk überlassen, als man das heutige deutsche Botschaftsgebäude
umbaute. Die kostbaren Fliesen, das Leben Mariens verherrlichend, haben im Chor und auf der Empore einen würdigen Platz gefunden.
Den krönenden Abschluss der Erneuerung der Kirche bildete der Kauf der Orgel. Bisher hatte ein Harmonium, das noch aus der Kapelle der Rua do Quelhas stammte, dem Gottesdienst gedient; für die
jetzt viel grössere Kirche war dieses Instrument keine Lösung. Leider kam der Kauf einer Pfeiffenorgel nicht in Frage. Eine solche bedarf ständiger Wartung und ist wesentlich teurer als eine
elektronische Orgel. Diesmal musste die Gemeinde selber für diese Anschaffung aufkommen; aus Beiträgen und dem Erlös des Bazars hoffte man, das Problem lösen zu können. Aber es gab bald
Schwierigkeiten: Die Teilzahlungen, die man mit der Firma ausgemacht hatte, erwiesen sich als zu hoch für unsern normalen Haushalt. P. Helmle schlug dem Kirchenvorstand und der Brüderschaft das
Ausstellen von Wechseln vor. Die Mitglieder beider Gremien weigerten sich, in das gefährliche Wechselgeschäft einzusteigen. Was nun? P. Helmle kannte die Familie Espirito Santo recht gut, und so
nahm deren Bank die Wechsel auf den Namen des Seelsorgers an. Wenige Wochen vor dem 25.April 1974 war alles bezahlt und die Gemeinde schuldenfrei.
Eine Pfarrei ist nicht nur Kirche und Pfarrhaus, sie ist Leben. Der Alltag fordert den Seelsorger mit Schule, Besuchen der Familien und Senioren, mit den Gottesdiensten. In den letzten Jahren hat
sich das Schwergewicht der Gemeinde etwas nach Estoril verlagert. Wenn man an das Beispiel der Anglikaner denkt, die Estoril zugunsten von Lissabon fast aufgaben - auch die deutsche evangelische
Gemeinde hat nur einen Gottesdienst in Lissabon - so kommt man wohl zum Schluss, dass ein Verlegen des kirchlichen Zentrums nach Estoril für uns nicht sinnvoll wäre. Dazu kommt noch der Umstand,
dass alle Ämter, die Schule, die Botschaften in der Stadt bleiben.
Ein wesentlicher Teil der Seelsorgearbeit ist das Erteilen des Religionsunterrichtes an der Schule. Dort lernt man die Kinder und oft genug auch deren Eltern kennen. P. Helmle hat seine Tätigkeit
noch in der Schule der Rua do Passadiço begonnen. Prälat Wurzer hatte ihn gebeten, einen Teil der Stunden zu übernehmen, der sich, als er aus dem Gemeindedienst ausschied, noch wesentlich
erhöhte. Dank des Entgegenkommens der Leiter der Schule und nicht zuletzt auch der Kollegen war für P. Helmle die Schule weniger Last als vielmehr Freude und Ansporn.
Eine grosse Hilfe im Religionsunterricht wurde P. Eder, der neben der Leitung eines Studentenheimes der Pallottiner über acht Jahre lang an der Schule tätig war.
Sein grosser Erfolg in dieser Zeit waren nicht weniger als zwölf Ferienreisen mit etwa 40 Kindern in die Schweiz, ohne dass die Eltern allzugrosse finanzielle Opfer zu bringen hatten. In einem
Berghotel über Brunnen am Vierwaldstätter See konnten die Kinder vier glückliche Wochen im Sommer verbringen. Es ist eine Art Wunder, dass bei den Fahrten in die Berge, den Ausflügen, keinerlei
Unglück passierte. Nur ein Beispiel sei genannt, das zeigt, was nicht alles hätte geschehen können: Auf der Reise in die Schweiz übernachtete die Gruppe stets in Irun. Einem jungen fiel die Mütze
vom Zimmer des Bahnhofhotels auf das Glasdach über den Bahnsteigen. Der kleine João sprang vom Fenster auf das Dach und brach durch, konnte sich allerdings mit den Armen am Gestänge festhalten.
Es gab auf dem Bahnhof keine geringe Aufregung, denn man befürchtete, dass der Schüler sich nicht allzulange sichern konnte; endlich kam die Feuerwehr und rettete den Zwölfjährigen aus seiner
Not. Den Teilnehmern dieser Fahrten sind diese Ferien in der Schweiz unvergesslich geblieben. P. Eder kehrte später in die Schweiz zurück, wo er bis vor wenigen Monaten eine Pfarrei bei Zürich
betreute. Unerwartet früh ist er am 5. Januar 1987 in Zug, wo er im Kreise seiner Familie eine kurze Zeit der Pensionierung geniessen konnte, verstorben.
Ausser P. Eder waren noch andere Priester an der Schule tätig, meistens nur kurze Zeit. Auch Frau Vieira Campos gab von der Gründung der Schule an bis vor kurzem mit grossem Erfolg diesen
Unterricht. Seit über 12 Jahren steht nun Fr. Czapke im Dienste der Schule wie auch der Gemeinde.
Im Rahmen der Tätigkeit an der Schule hat sich P. Helmle auch der Pfadfinder angenommen. Zunächst schloss sich die Gruppe der portugiesischen Organisation "Corpo Nacional dos escutas" an. Da sich
bald nicht nur sprachliche Schwierigkeiten, sondern auch organisatorische Probleme einstellten, schlossen sich die Jungens unserer Schule als "Stamm Lissabon" der "Deutschen Pfadfinderschaft St.
Georg" mit dem Sitz in Düsseldorf an. Im Lauf der Jahre zählte man stets um die 25 Mitglieder. Erst in jüngster Zeit haben sich auch Mädchen der Gruppe angeschlossen. Versammlungsort war zunächst
das Jugendheim der Gemeinde, Rua do Passadiço 31, bis beim Bau des Pfarrzentrums ebendort Platz geschaffen wurde. Die Tätigkeit der Pfadfinder ausserhalb des Hauses war recht vielfältig: Man
organisierte Zeltlager, meist in Sintra, wo die Familie Monteiro ihre Quinta anbot, damit sie frei spielen, kochen, Holz sammeln und in der Hauskapelle sogar die hl. Messe feiern konnten. Obwohl
sie der katholischen Pfadfinderschaft in Deutschland angeschlossen waren, blieb die Gruppe stets auch evangelischen Schülern offen. Johannes Laitenberger und Andreas Wittmer, beide evangelisch,
leiteten über Jahre hinweg den "Stamm Lissabon".
Unvergesslich bleiben die Theaterstücke, die sie intern probten und dann von P. Helmle im Film festgehalten wurden, wie Leben und Versuchung des hl. Martin" oder "Der Kampf des hl. Georg mit dem
Drachen und die Befreiung der Jungfrau". Die wilde Landschaft der Quinta bot vor allem für die letztere Darbietung eine ideale Szenerie. Der Einsatz der Pfadfinder bei den Bazaren beider
Gemeinden oder bei besonderen liturgischen Feiern sei nicht vergessen. Der Abschiedsgottesdienst für P. Helmle am 20. April 1986 mit der ganzen Gruppe um den Altar geschart, war ein Bild, das
Jahrzehnte Pfadfinder-Ideal und Arbeit widerspiegelte. Es war damals ein grosser Trost für P. Helmle zu wissen, dass die Gruppe in den bewährten Händen von Herrn Filzen einer sicheren Zukunft
entgegengehen kann.
Zur Jugendarbeit gehört auch die Betreuung der Ministranten. Diese kleine Gruppe treuer Helfer am Altar war stets da, wenn sie gebraucht wurde. In einer geschlossenen Gemeinde ist diese Hilfe im
Dienst der Liturgie einfach; man wohnt ja in der näheren Umgebung der Kirche. Aber in einer so weitgestreuten "Pfarrei" wie Lissabon erfordert das Kommen am Sonntagmorgen meist ein Opfer.
Dasselbe gilt für die Mitglieder des Chores. Sie müssen zu den Proben oft weite Entfernungen zurücklegen. Eine grosse Anerkennung für den Dirigenten und die Sänger waren die Konzerte im Dom von
Evora und in der Estrela Basilika. Man kann Herrn Dietrich Gahntz nur gratulieren, dass er aus dem Nichts in so kurzer Zeit ein solches Instrument zur Verschönerung der Gottesdienste und zur
Freude der Gemeinde zustande gebracht hat.
Allgemeine Anerkennung fanden in der Gemeinde die Fahrten, die P. Helmle im Laufe der Jahre organisierte. Man begann mit einer Tagestour nach Sines. Ein gutes Dutzend Teilnehmer begleitete den
Seelsorger zu den römischen Ruinen von Merobriga. Mit jeder Reise vermehrte sich die Zahl der Teilnehmer, bis man schliesslich bei fast hundert Mitfahrern in der Quinta do Correio Mor in Loures
ankam. Wer könnte etwa den Ausflug nach Spanien vergessen, der zuerst nach Gouveia ins Haus der Schwestern vom Johannesbund führte, dann durch die blühende Heide über das Gebirge der Estremadura
zur letzten Bleibe des Kaisers Karl V. im Kloster Yuste geleitete? Es fällt schwer, alle die Ziele zu nennen, die wir in Spanien, Marokko, Palästina und natürlich in Portugal besuchten.
Unvergesslich der Flug nach den Azoren und dort die Fahrt von einer Insel zur anderen, aufregend die Szenen in Fez, wo man in eindeutigem Haremsdenken unsere Frauen zu je dreien in französischen
Betten unterbringen wollte, obwohl wir Einzelzimmer bestellt und bezahlt hatten. Der ideale Abschluss dieser Reisen war vor Ostern 1986 eine Fahrt den Tejo entlang. Heroisch erkletterten wir eine
Anzahl Burgen, fuhren mit Herzklopfen über halsbrecherische Kurven und freuten uns königlich über die herrliche Landschaft im Frühling. Schön war's immer, manchmal auch etwas schwierig."
Zu guter Letzt noch ein Wort über unsere Gemeindefeste. Das grosse Ereignis des Jahres war und wird es wohl auch bleiben, der Bazar im Frühling. Wieviel Einsatz wurde da nicht geleistet von den
Helfern in der Vorbereitung, von den Firmen mit ihren Spenden, den Besuchern des Festes, und vor allem den Mitarbeiterinnen beim Verkauf. Zuerst hat Schwester Justine, erste Pastoralassistentin
der Gemeinde, in stiller Arbeit alles organisiert. Seit Jahren schafft es Fr. Anneliese Czapke mit ihrem Stab von Helferinnen - stets mit grossem Erfolg. Nicht vergessen seien die Adventsfeiern,
vor allem jene der letzten Jahre, die, mit den Kindern der Grundschule gestaltet, allgemein Anklang gefunden haben.
Dieses Kapitel darf nicht abgeschlossen werden, ohne der evangelischen Brudergemeinde zu gedenken. Aus dem unerfreulichen Zwiste der fünfziger Jahre um die Bartholomäusbrüderschaft wurde eine
immer herzlichere Zusammenarbeit zwischen den Konfessionen. Man fand und findet sich in ökumenischen Abenden in den Pfarrhäusern, in gemeinsamen Betstunden, in der Sorge um die Not der Ärmsten
der Armen - man denke an die grosse Hilfsaktion unserer Firmen zu Weihnachten 1985, die Herr Kemper angeregt hatte, - das alles ist mehr als theoretische Diskussion über theologische Probleme,
die von der Basis her doch nicht gelöst werden können.
Ende Juni 1984 wurde schliesslich P. Helmle von der Gemeinde und der deutschsprechenden Kolonie verabschiedet. Die Anwesenheit des Kardinal-Patriarchen, D. António Ribeiro, bei der Feier bewies
zur Genüge, wie hoch die portugiesische Kirche die Arbeit unserer Gemeinde schätzt.
Zum Nachfolger hatten die kirchlichen Vorgesetzten einen Mitbruder aus der Gesellschaft der Pallottiner, P. Alfons Sandmann, bestimmt. Dieser hatte 20 Jahre lang in Brasilien in der Seelsorge
gewirkt und dort eine der schönsten Kirchen des Landes erbaut und hoffte, auch in Lissabon segensreich arbeiten zu können. Er plante eine Reihe von Umbauten und Reparaturen am Pfarrhaus, die er
jedoch nicht mehr selbst ausführen konnte: Schwer krank musste er schon im Frühjahr 1985 Portugal verlassen und weilt jetzt in einem Kloster der Pallottiner in Olpe, im Sauerland.
P. Helmle wurde nochmals nach Lissabon gerufen, um P. Sandmann abzulösen. Von November 1985 bis Ostern 1986 wurde ein Teil des Bauvorhabens P. Sandmanns ausgeführt - dank der Finanzierung durch
das Katholische Auslandssekretariat! Am 27.April 1986 konnte sodann P. Helmle das Amt des Seelsorgers entgültig einem Nachfolger übergeben: Pfarrer Hermann Hungerbühler aus der Diözese St.
Gallen, der bisher die Gemeinde Heiden im Appenzell geleitet hatte.
Diese vielen Jahre des Einsatzes in Lissabon hätten durchaus anders verlaufen können, wäre P. Helmle nicht so wirksam von seiner Gemeinde unterstützt worden. An ihrer Spitze bewährten sich in
jeder Sorge und Aufgabe die Brüderschaft N. Sra das Dores und der Kirchen-Gemeinde-Rat. Allen bleibt P. Helmle auch in seiner Heimat zu Dank verpflichtet!
4. Die Brüderschaft Nossa Senhora das Dores
Rechtsträgerin und Besitzerin von Kirche und Pfarrzentrum ist die Brüderschaft N. Sra. das Dores. Diese Vereinigung stammt aus den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Noch war damals der
Eindruck vom Erdbeben 1755 im Volke lebendig. Die Verehrung des leidenden Heilandes und seiner Mutter bot Trost und Kraft in Not und Gefahr.
Die Statue der Schmerzensmutter, die wir über unserem Hochaltar sehen, stammt aus einer Kirche São Salvador, die beim Erdbeben halb zerstört wurde. Deshalb sammelte der Vigário dieses
Gotteshauses, Joaquim Ferreira da Vega, eine Gruppe von Laien und gründete am 5.April 1771 eine "Confraria de Amor à Virgem", um der Madonna eine würdigere Stätte zu schaffen. Dieser Priester
änderte schon 1773 den Namen der Vereinigung: Die Confraria wurde zur "Irmandade N. Sra. das Dores".
Die Verehrung des Gnadenbildes der Schmerzensmutter regte Priester und Laien dazu an, eine neue Kirche anstelle des zerfallenen Gotteshauses zu errichten. Dieser Plan war nicht ganz einfach zu
verwirklichen: Wegen der Zerstörungen des Erdbebens mussten zahlreiche Kirchen und Klöster neu erbaut werden; Staat und Kirche mussten darüber wachen, dass das Volk nicht durch übereifrige
Betteleien für fromme Zwecke belästigt wurde. Es war also schwierig, entsprechende Erlaubnisse zu erhalten. Die Mitglieder der Brüderschaft hatten jedoch offenbar gute Beziehungen zur Regierung.
So gaben der allmächtige Minister der Krone, Pina Manique, und ebenso Königin Maria I. ihre Zustimmung zum Bau einer "Ermida" zu Ehren der Muttergottes.
Es dauerte immerhin bis zum Jahr 1779, bis der Kardinal-Patriarch von Lissabon der Brüderschaft erlaubte, von jedem neuen Mitglied 120 reis zu fordern. Als Gegenleistung mussten für jeden
verstorbenen Bruder 14 hl. Messen gelesen werden. Eine erste grössere Stiftung machte am 5. März 1781 Manuel de Souza Coutinho und versprach, jährlich 400 reis zu spenden. Schon am 3. Mai 1783
konnten die Vorsteher der Brüderschaft den Auftrag für das Kirchenportal "trotz der hohen Kosten" vergeben. Zu Beginn des selben Jahres wird ein fest angestellter Kaplan erwähnt und ein
Rechtsgutachten eingeholt, um Klarheit über die täglich für die Verstorbenen zu lesenden Messen zur erhalten.
Ein wichtiger Grund für das Anwachsen der Mitgliederzahl war das von Papst Pius VI. gewährte Privileg für den Hochaltar der Kirche: Mit dieser aussergewöhnlichen Auszeichnung wurde den Seelen der
Verstorbenen, für die die hl. Messe gelesen wurde, ein vollkommener Ablass zuteil. Es müssen also damals recht einflussreiche Männer der Brüderschaft angehört haben, um von der Nuntiatur ein
solches Privileg zu erlangen.
Jedenfalls ist der Bau einer Kirche durch Laien, die weder von einem Orden, noch der Diözese oder Pfarrei finanziell unterstützt wurden, eine grosse Leistung. Die einzelnen Mitglieder der
Brüderschaft müssen grosse Opfer gebracht haben, um der Muttergottes dies würdiges Heiligtum zu schaffen. Es wurden stets genaue Bücher geführt, aus denen man noch heute die Einnahmen und
Ausgaben der Vereinigung prüfen kann. Alle Eintragungen spiegeln die politischen und religiösen Ereignisse getreu wider. Währende der napoleonischen Wirren von 1809 - 1811 schweigen die Bücher.
Die letzte grosse Anschaffung der Brüderschaft war der Kauf der Glocken im Jahre 1832. Dann kam 1834 der grosse liberale Kloster- und Kirchensturm. Die Mitglieder der Brüderschaft gehörten wohl
zur Partei der Migelisten, darum finden wir in den Büchern keinerlei Eintragungen mehr bis zum Jahr 1850. Bis 1865 sind nochmals Mitglieder-beiträge und Contas zu ersehen. Von da an bis 1915
zeigen die Urkunden kein Lebenszeichen mehr. Jedenfalls haben die Familien der naheliegenden Herrschaftshäuser der Kirche die Treue gehalten und verhindert, dass dieses Gotteshaus wie viele
andere Heiligtümer vernichtet und die Güter verschleudert wurden. Von 1915 bis 1936 reichen neue Aufzeich-nungen. Am 10. Oktober 1936 fand die letzte Generalversammlung der Brüderschaft statt.
Die letzten Vorsteher waren D. Domingos Pinto Coelho, António do Carmo Vianna, Jose dos Santos Lima und Eduardo Perestrello de Vasconcellos. 1936 wurden Kirche und Brüderschaft von der Pfarrei
Santo Condestável übernommen und bis zur Vollendung derer neuen Pfarrkirche betreut. Jahrelang blieb dann das alte, ehrwürdige Marienheiligtum geschlossen. Am 23.August 1965 wurde die
Brüderschaft N. Sra. das Dores und damit die Kirche der deutschen Gemeinde überschrieben. Damals wurde festgelegt, dass nur Mitglieder der deutschsprechenden Gemeinde der Brüderschaft angehören
dürften. Rektor der Kirche ist der deutsche Seelsorger, der gleichzeitig auch Kaplan der Brüderschaft ist und diese bei der Diözese, dem Patriarchat, vertritt. Mit der Kirche erhielt die
Brüderschaft auch die Mobilien des Gotteshauses und der Pfarrwohnung. Kelche oder andere Kultgeräte waren keine vorhanden. Die baufälligen Treppen, Türen, zum Teil sogar Wände mussten ersetzt
werden. Neue Bänke mussten ebenfalls angeschafft werden. Architeckt Corsepius entwarf einen Zelebrationsaltar mit entsprechenden Sedilien und dem modernen Kruzifix, ebenso den neuen
Tabernakel.
Das wertvollste Kunstwerk der Kirche ist, ausser dem Hochaltar, die kleine Türe des früheren Tabernakels über dem Nebenaltar der Evangelienseite: Das Kleinod, das letzte Abendmahl darstellend,
stammt von Machado de Castro, dem grössten portugiesischen Meister des ausgehenden 18. Jahrhunderts, der nicht nur die schönsten Krippen des Landes fertigte, sondern auch die Statue des Königs
Josef I. auf der Praça do Comércio. Das Museu da Arte Antiga machte uns den Vorschlag, das so kostbare Türchen durch eine Kopie ersetzen zu lassen, damit dieses unser Kunstwerk den staatlichen
Sammlungen eingefügt werden könne. Wir haben natürlich ein solches Ansinnen energisch zurückgewiesen. Ein bekannter Antiquar bot uns eine beachtliche Summe für die schönen Leuchter des
Hochaltares; er hatte ebenfalls kein Glück.
Von den Statuen der Seitenaltäre sei die Figur des hl. Paulus erwähnt, die unter Gerümpel irn alten Pfarrhaus entdeckt wurde und in der Kirche einen würdigen Platz erhalten konnte. Unter Schutt,
Holz und Steinen fanden wir ebendort die schönen Lampen, die ergänzt und erneuert, jetzt vor den Altären hängen.
Von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland erhielten wir ausser den wertvollen Azulejos auch den Altar der Hauskapelle des ehemaligen Palastes Valmor, der damals für die jetzige Bestimmung
umgebaut wurde. Dieses kostbare Geschenk kam genau zum rechten Zeitpunkt: Denn man hatte festgestellt, dass der Altartisch unter der Statue des hl. Michael völlig von weissen Ameisen zerfressen
war. Also war schon ein Ersatz gefunden, der zudem in Stil und Grösse zur Kirche passte!
Im Laufe der Jahre hat unsere Brüderschaft das Erbe der früheren Zeiten nicht nur bewahrt, sondern ergänzt und im Stil des 18. Jahrhunderts wohl restauriert. Das Wort des Kardinal-Patriarchen
Cerejeira bei der Einweihung des Pfarrzentrums gilt noch heute: "Sie haben die freundlichste Kirche von Lissabon".