1. Heinrich von Bonn


Im zweiten Kreuzzug, den Bernhard von Clairveaux gepredigt hatte, landete ein Teil der Ritter, die den Seeweg nach dem Heiligen Land gewählt hatten, bei Lissabon. Keine grossen Namen finden sich unter diesen Deutschen, Flamen und Engländern. Der deutsche Kaiser Konrad II., König Ludwig VII. von Frankreich und die Grossen ihrer Länder hatten den Landweg vorgezogen. Sie erlitten eine vernichtende Niederlage in Kleinasien. Der einzige Erfolg dieses zweiten Kreuzzuges war die Eroberung von Lissabon. (1147)
Die mächtige Feste am Tejo wäre wohl nicht so schnell erobert worden, wenn es nicht dem Bischof von Porto gelungen wäre, die Kreuzfahrer aus dem Norden zu überreden, an der Belagerung von Lissabon teilzunehmen. Die Flotte der Kreuzfahrer bestand aus etwa 200 Schiffen mit einer Besatzung von ungefähr 13 000 Mann. Wie stark die einzelnen Gruppen der Deutschen, Flamen und Engländer waren, wissen wir nicht.
Als die Belagerung sich länger als erwartet hinzog, stiftete der portugiesische König Alfons Heinrich I. zwei Friedhöfe für die Gefallenen, einen für die Engländer im Westen der Stadt, bei der Kirche Na. Sra. dos Martires gelegen - Märtyrer nannte man die im Kreuzzug Gefallenen - und einen Friedhof für die Deutschen und Portugiesen, dazu noch eine Kapelle, neben der ein Kloster entstand, das man dem hl. Vinzenz, dem Patron von Lissabon, weihte.
Schon in den zeitgenössischen Berichten werden Wunder erwähnt, die sich hier an den Gräbern der Gefallenen ereignet haben sollen. In dem 1188 abgefassten Bericht über die Gründung des Klosters São Vicente (Indiculum fundationis monasterii S. Vincentii) wird einer der Deutschen besonders gerühmt: Der Ritter Heinrich aus Bonn, "einer Stadt vier Meilen hinter Köln". In dem alten, heute im Nationalarchiv aufbewahrten Dokument heisst es weiter, an seinem Grabe wurden zwei Taubstumme geheilt, auch wuchs eine Palme daraus hervor. In der-selben Quelle werden zwei Augenzeugen, noch lebende Gewährsmänner, genannt, ein Fernandus Petri und ein Kleriker namens Otha, "natione teutonicus". Die Beschreibung der geographischen Lage Bonns verrät eine genaue Kenntnis der rheinischen Landschaft.
Die wunderbare Heilung der Taubstummen wird im Indiculum mit allen Einzelheiten geschildert: Beide verweilen nächtlich am Grabe des Ritters und erleben dort eine Vision: Sie schauen eine wunderbare Gestalt, die sie als Ritter Heinrich erkennen. Dieser erscheint ihnen in dem Gewand eines Pilgers, der in den Händen eine Palme trägt und sie zum Wachen auffordert. Binnen kurzem erlangen sie den Gebrauch der Sprache wieder.

Darüber hinaus berichtet das Indiculum noch von weiteren wunderbaren Ereignissen, die in den übrigen Quellen fehlen. Im Mittelpunkt des einen Geschehens steht ein Glöckner, ein Deutscher namens Heinrich. Während dieser wie gewöhnlich im Vorhof der Kirche von São Vicente schläft, erscheint ihm im Traum der Ritter Heinrich und fordert ihn auf, die Leiche seines nach ihm gefallenen Knappen, die man fernab von seinem Herrn begraben hatte, neben ihm beizusetzen. Erst nach dem dritten Traumbild, als der ob dieses Säumens erzürnte Ritter Drohungen ausgeprochen hatte, kommt der Glöckner dem Wunsch des Toten nach.
Die Heilung der Taubstummen wird auch in dem Bericht eines Engländers erwähnt, der uns wohl die beste Schilderung der Belagerung von Lissabon überliefert hat. Dieser, Osbern, spricht von dem Friedhof der Kölner und Flamen, wo die beiden Taubstummen geheilt worden seien. Diese englische Quelle ist deswegen so wichtig, weil der Engländer zumeist nur die schlechten Eigenschaften der Deutschen erwähnt, um seine eigenen Landsleute als bessere Menschen erscheinen zu lassen.
Ausser den portugiesischen Quellen gibt es noch genügend andere Nachrichten über Heinrich von Bonn. Vor allem Friesland kennt eine reiche Chronikliteratur über den Ritter und die an seinem Grabe geschehenen Wunder. Emo, Abt eines Klosters Witterwierum, hat in seiner Chronik den Brief eines Kreuzfahrers aufgenommen, der im Jahre 1217 aus Lissabon berichtet. Der Verfasser des Briefes gibt genau die Lage des Klosters S. Vicente an. Ebenso stimmt die Datierung der Eroberung von Lissabon. Der Tod des Knappen wird gemeldet, und ebenfalls fehlt die Palme nicht. Neu ist in dem Bericht der Rang des Helden, der princeps militiae Christianae, Anführer einer Abteilung der Heeresgruppe genannt wird. Vor allem fällt es auf, dass Heinrich nicht der ausschliessliche Name des Ritters war, sondern ein Beiname zu Poptetus Ulvinga.
Die reiche friesische Tradition fusst nach moderner Forschung auf einer Urchronik aus dem 13. Jahrhundert, die im Kloster Klaarkamp bei Groningen entstanden ist. Nicht weniger als fünf friesische Chroniken sind uns bekannt, die Heinrich erwähnen. Sie stammen alle aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Ihre Aussagen enthalten blühende Phantasien über Zeit und Ort der Handlung und Wunder des Ritters.
Die Verehrung des Ritters Heinrich als Seligen geht ohne Zweifel auf die erste Zeit der Gründung des Klosters S. Vicente zurück. Schon 1217 wird erwähnt, dass die Chorherren einen Ritter Heinrich hüteten, der "ein geliebter Märtyrer Christi" gewesen sei. Der oben erwähnte Emo spricht davon, dass Heinrich "durch göttliche Offenbarung kanonisiert" worden sei. Die Bestätigung eines Kultes zu Ehren des "Seligen Heinrich" findet eine späte Ergänzung im 17. Jahrhundert: Dom Rodrigo da Cunha, Erzbischof von Lissabon, der als Oberhirte der Stadt wissen musste, was erlaubt ist, betont, Gott habe begonnen, ihn mit Wundern zu kanonisieren, - Deos... começou canonizalo com milagres.
Ein altes Missale von Santa Cruz in Coimbra gibt als Fest des Seligen den 8. November an. Leider ist das betreffende Buch nicht mehr auffindbar. Die Bollandisten, die das umfassendste Werk über die Heiligen und Seligen des Kirchenjahres verfassten, nennen den 18. Oktober als Fest, ohne allerdings weiter auf das Leben des Seligen einzugehen.
Das Grab des Ritters Heinrich befindet sich heute neben dem Altar des hl. Antonius in São Vicente. Dort ist eine Gedenktafel in die Wand eingelassen, die besagt: "Hier ruhen die Gebeine des Ritters ... " 

 

Man konnte nicht wissen, dass hinter dieser Tafel wirklich der Sarg des Seligen stand. Am 18.4.1966 wurde mit kirchlicher und staatlicher Genehmigung die Tafel entfernt und der dahinter befindliche Holzsarg rekognosziert. Man konnte so erkennen, dass die Chorherren von São Vicente beim Neubau der Kirche den alten Sarg mit Gebeinen und Erde vom Friedhof in das neue Gotteshaus überführt hatten. Die alte Kirche und der Konvent waren im 17. Jahrhundert baufällig geworden, und der Habsburger Philipp II. errichtete den mächtigen Bau, der heute noch steht und das grosse Erdbeben überstand. Dank der Hilfe der deutschen Bundesregierung hat man 1966 auch die Kapelle mit dem Grabe des seligen Ritters restauriert. Eine Reliquie des Seligen hat im selben Jahr P. Helmle in das Münster von Bonn überführt, wo sie heute in einem kostbaren, gotischen Schrein im rechten Seitenschiff beigesetzt ist. Eine weitere Reliquie wurde auch der jetzigen deutschen Kirche in Lissabon übergeben. Sie wird im ehemaligen Tabernakel eines Seitenaltares aufbewahrt.
Die Verehrung des Seligen hat die späteren Jahrhunderte überdauert. Kein Geringerer als Camões hat dem Ritter Heinrich in den Lusiaden ein unsterbliches Denkmal gesetzt:

 

 Não vês um ajuntamento, de estrangeiro 
Traio, sair da grande armada nova 
Que ajuda a combater o Rei primeiro 
Lisboa, de si dando grande prova? 
Olha Henrique, famoso cavaleiro, 
A palma que lhe nasce junto à cova. 
Por eles mostra Deus milagre visto; 
Germanos são os Mártires de Cristo.

Hier sieh die Flotte zum Gestade bringen 
Den grossen Zug im fremden Kriegerkleid; 
Dem ersten Kön'ge hilft er kühn bezwingen 
Lisboas Vest' und Volk im heil'gen Streit, 
Und sieh den herrlichen Heinrich ringen, 
An dessen Grab die Palme dort gedeiht; 
Gott wies an Beiden wunderbar den Ahnen: 
Blutzeugen Christi seien die Germanen.




 

2. Die Bartholomäusbrüderschaft


Als erste Gruppe von Deutschen, die sich zu einer religiös-sozialen Vereinigung zusammenschlossen, ist die St. Bartholomäusbrüderschaft zu nennen. Sie ist schon zur Zeit des Königs Diniz um 1300 nachweisbar. Ein hanseatischer Kaufmann namens Overstaedt - portugiesisch Sobrevila - erbaute auf einem Holzplatz eine Kapelle, die er dem hl. Apostel Bartholomäus weihen ließ. An derselben Stelle wollte dann später der König eine grössere Kirche zu Ehren des hl. Julião errichten. Er bot dem deutschen Kaufmann ein anderes Grundstück an und verpflichtete sich, in dem neuen Gotteshaus eine Seitenkapelle zu Ehren des hl. Bartholomäus zu bauen.
Dies ist dann auch in der neuen Kirche, die 1291 vollendet war, geschehen. Zum Unterhalt dieser Kapelle gründeten die Deutschen eine Brüderschaft zu Ehren des hl. Bartho-lomäus, die ihren Sitz ebendort hatte. Im Laufe der Jahrhunderte wurde diese deutsche Kapelle mit kostbaren Reliquien ausgestattet. Königin Leonore, die dritte Gattin des Königs Emanuel I., Schwester Kaiser Karls V., schenkte der Brüderschaft sogar eine Reliquie des Namenspatrons.
Hauptzweck der Brüderschaft war zunächst die Förderung des Kultes an der Kapelle. Zeitweise waren nicht weniger als fünf Kapläne zum Dienst der Betreuung der Deutschen bestellt, von denen der erste das Amt eines Beichtvaters innehatte. Die Namen dieser Seelsorger im Auftrag der Brüderschaft sind nur zum Teil bekannt. Der Jesuit Peter Noormann hatte 1670 den Anspruch auf ein Gehalt von 40 Milreis. Carl Folgmann, Kaplan von 1743 bis 1755, trug den Titel "Capellão da capella de São Bartholomeu da nação Allemã, sita da igreja parochial de São Julião" Er stammte vom Niederrhein und war preussischer Untertan.
Der Kaplan der St. Bartholomäusbrüderschaft war der ständig und amtlich angestellte Seelsorger, der für die geistlichen Bedürfnisse der Deutschen in Lissabon sorgte und zu diesem Dienste besoldet wurde. Er las die tägliche heilige Messe, diente als Beichtvater, erteilte Unterricht und war in der Glaubensüberwachung tätig.
Die St. Bartholomäusbrüderschaft entfaltete auch ein eigenständiges kirchliches Leben. Zu den persönlichen religiösen Funktionen der Brüder gehörte nicht nur die Teilnahme an den sonn- und feiertäglichen Messen, sondern auch der Besuch der Gottesdienste der Brüderschaft, die in Form von Ämtern, Andachten und Prozessionen an bestimmten Tagen des Jahres stattfanden. Bei feierlichen Gottesdiensten trugen die Brüder Umhänge von grüner Farbe, und es wurden grüne Kerzen, sogenannte Bartholomäuskerzen, getragen. Ein verstorbener Bruder wurde mit den Insignien der Brüderschaft, worunter man die Fahne mit dem Bild des Patrons, Kreuz und Kerzen verstehen kann, zu Grabe getragen. Das Recht auf einen eigenen Friedhof hatte die Brüderschaft durch ein königliches Privileg vom 30. Juni 1593 erhalten.
Neben dem Zweck der Pflege religiöser Pflichten bestand für die Mitglieder der Brüderschaft die soziale Aufgabe der Förderung der Werke geistlicher und leiblicher Barm-herzigkeit. Die portugiesischen Könige übertrugen der Brüderschaft die Fürsorge für hilfsbe-dürftige Deutsche und liessen ihr dafür die Einnahmen aus einer Abgabe zukommen, mit der die Ladung deutscher Schiffe belegt wurde. Zeitweilig unterhielt die Brüderschaft ein dem hl. Bartholomäus geweihtes Hospital, für das König Johann II. am 18. August 1495 ein Privileg ausgestellt hatte. Selbstverständlich erstreckte sich die Fürsorge in besonderer Weise auf die in Not geratenen Brüder, ihre Angehörigen und Hinterbliebenen.
Für die vielfältigen Ausgaben standen der Brüderschaft die üblichen Einnahmen aus Stiftungen zur Verfügung. Ein solches Vermächtnis war die Schenkung eines deutschen Kauf-mannes namens Jacques Coster, der der Brüderschaft ein Landgut in Oeiras und Häuser am Rocio vermachte. Die tief religiöse Gesinnung Costers erkennt man aus dem Wortlaut des Testamentes, in dem die Verpflichtung der Brüderschaft für Seelenmessen u.a. ausdrücklich betont wurde. Ferner flossen der Brüderschaft Strafgelder zu, die laut staatlicher Verordnung Brüder zahlen mussten, die sich einer sittenlosen oder ungehörigen Lebensführung schuldig gemacht hatten. Zu den Einnahmen der Brüderschaft gehörte auch die schon erwähnte Abgabe von 2 Promille auf die von Deutschen eingeführten Gütern. Ferner mussten die hanse-atischen Schiffe für jede Tonne aus- oder eingeladener Güter 20 Reis erlegen.
Die Verwaltung und Leitung der Brüderschaft lag in den Händen von Brüdern, die dazu am Patronatsfest des Heiligen für ein Jahr gewählt wurden.
Die Zusammensetzung des Vorstandes spiegelte die soziale Schichtung der Deutschen in Lissabon wider, die stets einen starken Anteil an Kaufleuten aufwies, zu denen aber auch viele Handwerker gehörten: Im Jahre 1452 beispielsweise war der Schuhmacher Michael Herrmann Vorsteher der Brüderschaft. Zeitweise hatten die in portugiesischen Diensten stehenden Artilleristen in der Brüderschaft einen beherrschenden Einfluss. Da die unge-schliffene Art dieser Söldner den Kaufleuten zu lästig wurde, trennten sie sich von der Brüderschaft und bildeten eine eigene in der St. Sebastianskapelle von São Julião. Nach der Auflösung der Korps der Artilleristen zu Beginn des 17. Jahrhunderts vereinigten sich jedoch wieder beide Brüderschaften der Deutschen.
Neben der Brüderschaft von St. Bartholomäus gab es in Lissabon noch eine andere Vereinigung dieser Art, die das Heilige Kreuz und St. Andreas als Patron verehrte. Diese Brüderschaft, der sich vor allem die Süddeutschen anschlossen, hatte ihren Sitz in der Kirche Santa Rufina e Justa, und später in São Domingos. Die Seelsorge der Deutschen war also durch die Kapläne der verschiedenen Brüderschaften mehr als gewährleistet. An dieser Situation änderte sich auch nichts durch die Reformation Martin Luthers: Die wenigen Protestanten konnten durch die Vorschriften der Inquisition ihren Glauben nicht öffentlich bekennen oder Gottesdienste feiern.
Diese Lage blieb so bis zum Jahre 1761. Damals erhielten die deutschen Protestanten das Recht, eine eigene Gemeinde zu gründen, und Marquis Pombal gestattete im Zuge seiner Liberali-sierungen die Ausübung des evangelischen Kultes. Mit diesem Erstarken der evangelischen Gemeinde in Lissabon geht ein gewisser Niedergang des katholischen Anteils in der deutschen Kolonie Hand in Hand. Beim grossen Erdbeben 1755 waren die katholischen Mitglieder der Brüderschaft so gut wie vollzählig in der Kirche São Julião zur Allerheiligen-Messe versammelt, als die Decke der Kirche einstürzte und die Teilnehmer am Gottesdienst unter den Trümmern begrub. Der Fortbestand der Brüderschaft konnte nur durch die Aufnahme evangelischer Mitglieder gewährleistet werden, die auch die Verwaltung der Güter übernahmen und Beiträge bezahlten.
Unter diesen Umständen ist es auch verständlich, dass im Jahre 1801 der Vorsteher der evangelischen Gemeinde, Jakob Heinrich Burchardt - zugleich Präsident der Brüderschaft - den Vorschlag machte, dass Brüderschaft und evangelische Gemeinde ineinander aufgehen sollten "in Anbetracht dessen, dass die grosse Mehrzahl der beitragenden Mitglieder Protestanten seien, und dass für die Katholiken kirchliche Anstalten vorhanden wären". Dieser Vorschlag beinhaltete, dass die Brüderschaft den evangelischen Prediger besolden und die übrigen Ausgaben der Gemeinde bestreiten sollte, "ohne die jetzt votierten Ausgaben für den katholischen Kultus zu vermindern". Dieser Gedanke wäre zunächst von der protestantischen Mehrheit des Vor-standes gutgeheissen worden, wenn nicht der Kassier, Adolf Friedrich Lindenberg, sich diesem Vorhaben widersetzt hätte: Nach damaligem Recht wären Güter der Kirche, die nicht mehr ihrem ursprünglichen Zwecke dienten, zugunsten des Hospitals São Jose eingezogen worden.
Trotz dieser kirchenrechtlichen Probleme blieb der Einfluss der Protestanten innerhalb der Brüderschaft bedeutend. 1796 umfasste die deutsche Kolonie etwa 1000 Personen. Davon war nur ein Viertel katholisch. So war es möglich, dass aus dem Vermögen der Brüderschaft im Jahr 1817 der Bau einer Kapelle für den evangelischen Gottesdienst finanziert werden konnte. Gleichzeitig aber musste die Brüderschaft ein Siebentel der Kosten für den Wiederaufbau der Kirche São Julião erstellen. 1842 bestand die Deutsche Kolonie nur mehr aus etwa 500 Personen, von denen bloß noch 60-80 katholisch waren. Immerhin zählte die Brüderschaft 1855 neben 15 Protestanten 13 Katholiken. Damals versuchte die katholische Gruppe nochmals einen Anlauf zu einer Reorganisation der Brüderschaft im kirchlichen Sinn; politische Strömungen der damaligen Zeit hinderten jedoch jeden Erfolg. Dazu kam noch die Entwicklung nach dem Kriege 1870, als sich viele katholische Familien vom neuen "Preussen-Deutschland" distanzierten.
Da es keine Statuten gab, die kirchlich und staatlich anerkannt waren - die ursprünglichen waren offenbar bei den wiederholten Bränden der Kirche verloren gegangen - wurden 1870 neue Statuten beschlossen, in denen neben der katholischen Kapelle in São Julião auch eine kleine, evangelische Kirche Erwähnung fand, also praktisch eine paritätische Behandlung beider Konfessionen erfolgte. Eine kirchliche Billigung fanden diese, wie auch die späteren Entwürfe von Statuten, wie jene aus den Jahren 1914, 1922, 1928 und 1936, nicht. Trotzdem versuchte die Brüderschaft, ihren Verpflichtungen aus der katholischen Zeit noch nachzukommen: Man liess bis 1939 die vorgeschriebenen Messen in der Kirche São Julião lesen. Als dieses Gotteshaus und mit ihm die Kapelle des hl. Bartholomäus geschlossen wurde, wurden im Auftrag der Brüder-schaft diese Messen weiterhin in der kleinen Kapelle N. Sra. da Oliveira in der Baixa von Lissabon zelebriert, da dieses Kirchlein Rechtsnachfolgerin der alten São-Julião-Kirche war.
Das Altarbild der Kapelle der Brüderschaft mit einer Darstellung des Apostels Bartholomäus wurde in das Seminar des Patriarchates nach Almada überführt. Damit erschien fast sinnbildlich der katholische Charakter der Brüderschaft erloschen.
Der damalige Seelsorger der Deutschen, Prälat Wutzer, glaubte aber, dieser Säkularisierung einer ehemals katholischen Vereinigung und ihrer Güter nicht tatenlos zusehen zu dürfen. Er wurde in dieser Sache von einigen Mitgliedern seiner Gemeinde und den lokalen kirchlichen Behörden weithin gestützt: Nach dem Konkordat zwischen Kirche und Staat vom Jahre 1940 hatte der Bischof das Recht, alte Brüderschaften neu zu ordnen; die Diözesen konnten neue Vorstände der Vereinigungen ernennen und die Verwaltung der Güter neu regeln.
Durch ein Dekret des Patriarchates vom 16. Juli 1954 wurde also die St. Bartholomäus-brüderschaft "reorganisiert": Es wurden neue Vorstandsmitglieder ernannt und nach kirchlichen Vorschriften der ursprünglich katholische Zustand der Brüderschaft wieder hergestellt. Es blieb nur noch die Frage, wem die Güter gehören, der alten säkularisierten oder der neuen katholischen Organisation.
Die Entscheidung in dieser Sache blieb den weltlichen Gerichten vorbehalten: Diese stimmten in drei Instanzen für den status quo. Also konnten die Mitglieder der früheren Brüderschaft weiterhin im Amte bleiben und über deren Güter frei verfügen. Um etwaigen kirchlichen Pflichten gerecht zu werden, übergab die Leitung des "Bartholomäusvereins" beiden Konfessionen der deutschen Kolonie je 10 000 Schweizer Franken. Diese Form einer Ablösung kirchlicher Verpflichtungen wurde von katholischer Seite durch Kardinal Frings von Köln ausdrücklich gutgeheissen.
Die sozialen Pflichten, die auf den Gütern der "Brüderschaft" oder der Vereinigung von St. Bartholomäus lasten, werden weiterhin erfüllt: Nach wie vor finden bedürftige Landsleute ohne Unterschied der Konfession Unterstützung; ein vorbildlich geführtes Altersheim im Stadtteil von Restelo (jetzt Estoril) beweist zur Genüge den auch heute noch bestehenden christlich-karitativen Charakter einer so traditionsreichen deutschen Vereinigung.

 

3. Die ehrwürdige Michaela Margaretha von Österreich, Gründerin des Karmels von Carnide


Es kostet schon etwas Geduld, um das ehemalige Kloster "Santa Teresa de Carnide" zu finden. Der alte Konvent, heute "Confraria de São Vicente de Paula", liegt an der Rua do Norte no. 45 am äussersten Rande von Lissabon im Stadtteil Carnide. Das Gebäude beherbergt jetzt ein Altersheim, das von Barmherzigen Schwestern geleitet wird. Die Schönheit der Kirche, der ungewöhnliche Reichtum an Azulejos im Gotteshaus wie im Kloster überraschen den Besucher. Wer würde vermuten, dass in diesem abgelegenen Asyl für Senioren eine deutsche Kaisertochter begraben liegt, die ehrwürdige Michaela Margaretha von Habsburg, Tochter des Kaisers Mathias.
Im Alter von vier oder fünf Jahren hatte man das Kind, das wohl in Böhmen das Licht der Welt erblickt hatte, den Nonnen des Karmel von Sankt Albert, heute ein Teil des Museo da Arte Antiga, übergeben. Die kleine Prinzessin muss sich im Kreis der Schwestern sehr wohl gefühlt haben, denn sie nahm später den Schleier und wurde eine vorbildliche Ordensfrau; ihre Tante, Vizekönigin und Herzogin von Mantua, stand der Karmelitin gewiss sehr nahe. Noch ehe die Portugiesen das Joch Spaniens abgeschüttelt hatten und die Herzogin von Mantua das Land verlassen musste, gründete die Prinzessin-Nonne das Kloster der hl. Theresia von Avila, wo sie weitab vom Getriebe der Welt und des Hofes ihr Leben Gott ungestört weihen konnte. Es ist ein Zeichen der Selbständigkeit der Gründerin, dass sie ihr Kloster der hl. Theresia weihen liess, denn diese Heilige hatte einen Teil der Karmeliten reformiert, während die Schwestern von St. Albert der alten Observanz angehörten.
Man könnte meinen, die Portugiesen hätten mit der Vertreibung der Vizekönigin, die im Namen der Habsburger das Land regiert hatte, auch deren Verwandte des Landes verwiesen; doch obwohl die neue Gründung noch in den Anfängen stand, haben die neuen Herrscher des Landes, die Braganças, das Kloster grossmütig gefördert: Der mächtige Konventbau und die schöne, grosse Kirche legen ein gutes Zeugnis für die neue regierende Dynastie ab. Das Ansehen der Gründerin aus dem Hause Habsburg war offenbar in der Gesellschaft von Lissabon und am Hofe so gross wie eh und je; wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte man der Schwester nicht die Leitung des neuen Klosters belassen. Johann IV, der neue König von Portugal, stand noch im Kriege mit Spanien, dennoch übergab er der Österreicherin im Konvent von Carnide sogar eine Tochter zur Erziehung, die kleine Maria de Bragança.
Auch diese "Prinzessin im Kloster" muss sich hier sehr wohl gefühlt haben: Sie blieb bis zu ihrem frühen Tode dort, hat allerdings nie den Schleier genommen oder Profess abgelegt. Ihr Grab befindet sich im Chor der Nonnen, ein mächtiges Monument gibt auch heute noch davon Zeugnis, dass hier eine portugiesische Königstochter begraben liegt.
Ganz anders sieht die Ruhestätte der Gründerin des Konventes aus. Sie hatte nicht den Wunsch, als Kaisertochter noch im Tode geehrt zu werden. Zwischen Nonnenchor und Hochaltar befindet sich eine Art vergittertes Fenster, durch das die Karmelitinnen die hl. Kommunion empfingen. Unter dieser Öffnung wurde die vorbildliche Klosterfrau begraben. Nur eine Inschrift gibt Kunde von der Toten: "Unter diesem Gitter ruht die ehrwürdige Mutter Michaela Margaretha von der hl. Anna, Tochter des Kaisers Mathias, die Gründerin dieses Konventes war. Sie war gross an Tugenden und starb am 28. September 1663 im Alter von 82 Jahren, nachdem sie mit 4-5 Jahren ins Kloster eingetreten war".
Die Bezeichnung "ehrwürdig" ist eine im kanonischen Rechte übliche Bezeichnung für Personen, die im Rufe der Heiligkeit gestorben sind, oder deren Seligsprechungsprozess eröffnet wurde.
Die Grabesinschrift lautet im Original: "Aqui debaixo desta grade jaz a Veneravel Madre Michaela Margarida de Santa Ana, filha do Imperador Mathias, fundadora que foi deste convento resplandeceu em virtude faleceu em 28 de Setembro de 1663 de idade de 82 anos, havendo entrada na religião de idade de 4 para 5 anos".

4. Kardinal Albrecht von Österreich, Vizekönig von Portugal (1583-1593)

Die Zeit der spanisch-habsburgischen Herrschaft in Portugal brachte einen Enkel Kaiser Karls V., Albrecht von Österreich, nach Lissabon. Er war 1559 in Wiener Neustadt als 6. Sohn Kaiser Maximilians II. geboren worden. Schon früh zur geistlichen Laufbahn bestimmt, wurde er 1577 zum Kardinal ernannt. Am Hofe Philipps II. erzogen, genoss er das volle Vertrauen dieses Monarchen, der ihm bald nach der Vereinigung der beiden iberischen Königreiche die wichtige Stellung eines Vizekönigs von Portugal übertrug.
Philipp II. hatte auf den Cortes von Tomar seinen neuen Untertanen versprochen, dass alle wichtigen Ämter von Portugiesen verwaltet würden: Nun stammte Albrecht durch die Gemahlin Karls V., Isabel von Portugal, als Urenkel mütterlicherseits von König Manuel I. ab; Philipp hielt also dem Buchstaben nach seinen Eid.
Wie es sich aber bald zeigen sollte, war es für die Spanier leichter, Portugal zu besetzen, als das Land auch dauernd zu behaupten. Die Person des jungen Habsburgers half den Portugiesen zunächst, das spanische Joch leichter zu ertragen. Er war klug, gerecht, gütig und tief religiös. In seiner Hand vereinigte er eine ungewöhnliche Machtfülle, war er doch gleichzeitig Großinquisitor, Päpstlicher Legat und Vizekönig, besass also eine fast unbeschränkte geistliche wie weltliche Gewalt. Nur dem Papste und dem König verantwortlich, hätte diese Stellung einem weniger gewissenhaften Manne zur Gefahr werden können.
Es ist gewiss kein Zufall, dass die Portugiesen unter der Herrschaft Albrechts keinerlei Versuche machten, die spanische Macht abzuschütteln. Selbst als der portugiesische Gegen-spieler Philipps II., der Prior von Crato, bei Lissabon landete, fand er kaum Unterstützung seiner Landsleute; Albrecht wusste die Hauptstadt so geschickt zu verteidigen, dass es nicht einmal zu einer eigentlichen Schlacht kam.
Der offene Widerstand gegen Spanien war erst dann leichter möglich, als man von Madrid aus versuchte, Portugal zu einer spanischen Provinz zu machen und gleichzeitig in Lissabon eine schwache Frau, die Herzogin von Mantua, als Vizekönigin regierte.
Albrecht von Österreich wäre nie zum Helfershelfer offenen Unrechts geworden. So bedeutete seine Regierung in Lissabon trotz allem eine Periode des Friedens, wenigstens zwischen den beiden iberischen Königreichen. Dass in seine Amtszeit der Verlust der spanischen Armada fällt, mit der auch die portugiesische Flotte einen nie wieder gutzumachenden Schaden erlitt, ist tragische Fügung höherer Mächte, aber sicherlich nicht seine Schuld.
Ebensowenig trifft ihn der Vorwurf der Verantwortung für die niederländischen Religionskriege, die unter seiner Statthalterschaft in jenen spanischen Provinzen tobten - Albrecht hatte dieses schwere Amt nach seiner Lissabonner Zeit übernommen. Auf Wunsch seines Herrn und Königs hatte der Erzherzog 1595 auf die Kardinalswürde verzichtet und 1599 Isabella, die Tochter Philipps II., geheiratet, mit der er in jungfräulicher Ehe lebte.
Die letzten zehn Jahre seiner Statthalterschaft in den Niederlanden galten dem Frieden und Wiederaufbau. Albrecht wurde in dieser Zeit zum grossen Mäzen der Künste. Unter den zahlreichen Vertretern der Malerei, die seine Förderung erfuhren, befand sich Peter Paul Rubens, der eine Reihe von Portraits Albrechts gemalt hat.
Erzherzog Albrecht zählt ohne Zweifel zu den grossen Vertretern seiner Familie, wenn er auch weniger im Vordergrund der Geschichte steht als die regierenden Fürsten. Gerechtigkeit, religiöser Ernst und Klugheit sichern ihm einen Ehrenplatz im Andenken Europas und nicht zuletzt auch Portugals.

 

5. Johann Friedrich Ludwig (Ludovici), Erbauer von Mafral


Nicht zufällig erinnert der gewaltige Bau von Mafra an unsere heimatlichen Klöster und Schlösser der Barockzeit. Der Meister dieses portugiesischen Escorial, Johann Friedrich Ludwig , italienisiert Ludovici, brachte die Idee für sein Werk aus seiner bayrischen Heimat nach Portugal. Drei Meister legten ihre Pläne für das Schlosskloster König Johann V. vor, der deutsche Architekt wurde auserwählt. Der König wollte das spanische Königsschloss und Kloster Escorial übertreffen und Philipps II. grandiose Schöpfung bei Madrid in den Schatten stellen. Ludovici hatte am Hofe zu Lissabon hohe Protektion durch die Königin Marianne von Österreich, die Gattin Johanns V. Der Plan sah eine Doppelfunktion der riesigen Anlage vor, einerseits einen Palast für den Hof, andererseits ein Kloster für Hunderte von Mönchen, die durch ihr Gebet das Wirken königlicher Politik unterstützen sollten. Meister Ludwig brachte für seine Aufgabe Erfahrung aus Augsburg - dort war er Goldschmied - und Rom mit nach Portugal. In der ewigen Stadt hatte er Jesuiten kennengelernt, die seine Konversion zur katholischen Kirche erwirkten. Im Jahre 1700 heiratete er eine Römerin, Clara Morelli, und änderte seinen Namen, damaligem Brauche folgend, auf Ludovici.
Die Durchführung des überdimensionalen Projektes stellte für den Architekten keine geringe Aufgabe dar: Bisweilen arbeiteten 50 000 Handwerker und Hilfskräfte am Bau. Bildhauer fertigten die zahlreichen Statuen der Kirche, die zu den Meisterwerken portugiesischer Kunst zu zählen sind. Mönche schufen die Einbände einer Bibliothek, die fast vollständig die Werke der Zeit umfasste. Eine Kunstakademie lehrte junge Portugiesen an, auch für spätere Generationen im Geiste der Schule von Mafra tätig zu sein. Machado de Castro, der die Statue des Königs Josef I. auf der Praça do Comercio schuf, zählt zu ihnen. Die meisten Kirchen von Lissabon, die man nach dem Erdbeben erbaute - unter anderen die Basilika von Estrela - künden auch heute noch den Einfluss von Mafra. Inwieweit Ludovici persönlich mit seinem Genie die einzelnen Kunstwerke inspirierte, kann man heute schwer beurteilen. Als erstem Architekten und Leiter der ganzen Bauhütte gebührt ihm jedenfalls der Lorbeer höchster Anerkennung.

 

6. Die Gefangenen in der Feste São Julião da Barra


Nach dem Attentat 1758 auf König Josef I. begann in Portugal eine wahre Hexenjagd auf die Jesuiten. Selbst der Franzose Voltaire meinte in diesem Zusammenhang, es handle sich bei diesem Prozess um "un excès du ridicule er de l'absurdité joint a l'excès d'horreur".
Alle Mitglieder der Gesellschaft Jesu in Portugal wurden verhaftet, selbst aus den Missionsgebieten in Übersee nach Lissabon verfrachtet: Aus Brasilien, aus Indien, ja selbst aus dem fernen Macau wurden sie auf Schiffe getrieben und in den untersten Teilen der Segler unter unmenschlichen Bedingungen nach Europa gebracht. Zu den Opfern dieser aufgeklärten Despotie des allmächtigen Marquis Pombal gehörte auch eine grosse Zahl unserer Landsleute. Der kaiserliche Geschäftsträger von Lebzeltern, der die Berichte der Missionare für übertrieben hielt und sich deshalb verkleidet in die Gefängnisse begab, schildert in einer Depesche vom 8. April 1777 seine Eindrücke also: "Ich sah selbst ihre Gefängnisse. Nur ein schwaches Bild werde ich von so grossen Leiden entwerfen können, denn sie übertreffen alle Vorstellungen, welche die Einbildungskraft vorführen könnte, und ihr blosser Anblick macht das Blut erstarren. Löcher von vier Spannen im Quadrat, welche in einem unterirdischen Raum angebracht sind, den grosse Fackeln kaum erleuchten können, und in welchen bei der Flut das Wasser zwei Spannen hoch steigt, bilden den traurigen Aufenthaltsort, wo diese Unglücklichen 18 Jahre gelebt haben, indem sie zu ihrer Ernährung täglich nur 1/2 Pfund Brot, 2 Unzen Fleisch und ein wenig Salat erhielten und als Kleid jährlich ein Hemd". Zu den Gefangenen zählten auch Missionare, deren Namen wir kennen: So kamen aus Brasilien die deutschen Patres Kaulen, Meisterburg, Eckart und Fay. Einer von ihnen, P. Schwarz, konnte ein Marienbild der "Mutter mit dem geneigten Haupte" mit ins Gefängnis retten. Als P. Meisterburg am 8. September 1762 sich in einem erschütternden Gebet an Maria wandte, konnten die Patres endlich auch die hl. Sakramente empfangen und zelebrieren. Sie sahen dies als wunderbare Erhörung an und erhoben das Marienbild auf ihren Altar. Das Gnadenbild kam 1936 nach Essen, wo es bis heute von den Gläubigen verehrt wird. 
Die Behandlung in São Julião war, namentlich in den ersten Jahren, von absolut unmenschlicher Strenge. Mit niemandem, selbst nicht mit dem Gefängnispersonal, durften die Jesuiten sprechen. Man liess ihnen die Kleider am Leib verfaulen. Alles verfault hier, nur die Jesuiten wollen nicht verfaulen, soll nach einem Bericht der Kommandant des öftern gesagt haben. Selbst das Stroh verfaulte auf den Pritschen, die notwendig waren, weil bisweilen das Wasser - es kam zeitweilig aus den Abzugskanälen der Aborte - den Boden der Zellen und der Gänge bedeckte. Einziges Licht kam aus einer kleinen Öllampe, deren Geruch die ohnehin verpestete Luft noch verschlechterte. Mit der Zeit wurde doch die Haft etwas gemildert: Man liess zum Lüften die Zellentüren einige Stunden offen. Auch das Personal durfte mit den Gefangenen sprechen. Hatte man anfangs selbst den Sterbenden die Sakramente verweigert, so wurden sie später den Schwerkranken vom Festungskaplan gespendet.
Dass aber die Ausbeutung der Gefangenen nie aufhörte, zeigen die Umstände beim Tod eines Deutschen, des Paters Rötger Hundt aus Olpe im Sauerland, die einer der Gefangenen beschrieben hat: Es war üblich, dass die Gefangenen in ihrer Ordenskleidung begraben wurden. Als P. Rötger starb, wurde sein Kleid vom Kommandanten vor der Beerdigung eingezogen, weil er es erst drei (!) Jahre vorher hatte anfertigen lassen.
Nie wurden diese Männer vor ein Gericht gestellt, nie einer Schuld überwiesen. Der Grausamkeit eines auf-geklärten Despoten ausgeliefert, war es ihr einziges Verbrechen, der Gesellschaft Jesu anzugehören. Nach dem Sturze Pombals 1777 wurden die Gefangenen befreit. 45 hatten die bis zu 18 Jahren dauernde Haft überstanden; 37 waren im Kerker gestorben, von ihren Mitbrüdem als Märtyrer geehrt, die übrigen waren früher schon auf diplomatische Inter-ventionen hin entlassen worden. Keiner war abgefallen. Denn wenn einer dieser Unglücklichen seinen Gelübden untreu geworden wäre, wäre er sofort frei geworden.
Mit der hiesigen deutschen "Gemeinde" hatten die Gefangenen natürlich keinen Kontakt. Nur der kaiserliche Vertreter Wiens konnte es wagen, sich der Opfer der Willkür Pombals anzunehmen und einigen von ihnen zur Freiheit zu verhelfen. Die heutige Gemeinde darf sich glücklich schätzen, diese treuen Söhne der Gesellschaft Jesu als würdige Glieder unserer Gemeinschaft zu ehren.

 

7. Schwester Maria Droste zu Vischering


Die Gemeinde deutscher Katholiken in Portugal kann auch eine Mystikerin aufweisen: Schwester Maria vom göttlichen Herzen, geborene Gräfin Droste zu Vischering.
Sie wurde am 8. September 1863 geboren. Ihr Vater, Erbdroste zu Vischering, war ein Neffe des grossen Erzbischofs Klemens August Droste, der 1837 als Gefangener der preussischen Regierung nach der Feste Minden gebracht wurde, weil er die Rechte der Kirche verteidigt hatte. Die Mutter unserer Mystikerin war eine geborene Gräfin Galen, Tante des bekannten Kardinals und Bischofs von Münster.
Die Vischering, wie die Galen und Fürstenberg, gehörten zu jenem westfälischen Adel, der stets treu zur Kirche stand, auch dann, wenn katholische Gesinnung keine materiellen Vorteile brachte.
Eines Tages besuchte die junge Gräfin Maria mit ihrer Mutter ein Krankenhaus. Man zeigte ihr eine Pflegerin, die einen Fehltritt begangen und ihre Ehre verloren hatte. Maria überlegte einen Augenblick, wen würde Christus wohl am freundlichsten begrüssen, wenn er käme. Dann geht die Jugendliche mit strahlendem Blick auf die "Gefallene" zu und gibt ihr die Hand. Und gleichzeitig erkennt sie ihren Lebensweg: Dienst an den Gefallenen.
Sie trat später in den Orden vom Guten Hirten ein, um der Bekehrung der Sünder ihr Leben zu weihen.
1894 wurde sie von der Ordensleitung nach Portugal gesandt, die beiden Niederlassungen in Lissabon und Porto brauchten Hilfe. Es spricht sehr für die deutschen Oberen, dass sie eine so wertvolle Kraft fürs Ausland freigaben!
Vom Januar bis Mai lebte Schwester Maria in Lissabon.
Dann wurde sie von ihren Vorgesetzten als Oberin nach Porto versetzt. Die junge Gräfin im Ordenskleide fand die Niederlassung, die man ihr anvertraut hatte, in der denkbar schwierigsten Lage: Von aussen spürte man die gehässige, kirchenfeindliche Politik jener Zeit, in der die Klöster eben noch geduldet waren. Im Hause selbst herrschten Niedergeschlagenheit, Not und Sorge um die Zukunft.
Eine Lösung der wirtschaftlichen Probleme schien so gut wie aussichtslos. Drückende Schulden und keinerlei Einnahmen, mit denen man hätte rechnen können, hätten jeder anderen Oberin eines solches Hauses den Mut genom-men, auch nur zu beginnen. Aber Maria wäre keine Droste zu Vischering gewesen, wenn sie sich durch derlei materielle Schwierigkeiten hätte beeindrucken lassen. Sie setzte ihr Vertrauen auf die Hilfe des Herzens Jesu und gewann: Wohltäter kamen von allen Seiten; nicht zuletzt half ihre Familie in der Heimat. So konnte sie renovieren, was an Haus und Schule baufällig war. Bald herrschten wieder Zuversicht und Freude.
Aber Gottes Hilfe war nicht umsonst gegeben. Maria selbst musste das Wunder der Rettung ihrer Niederlassung mit schmerzlicher Krankheit bezahlen. Eine qualvolle Rückenmarksentzündung warf sie aufs Krankenlager; bald war sie völlig gelähmt. Trotzdem liess sie sich täglich ins Sprechzimmer tragen. Sie wollte ihren Freunden und Wohltätern nahe bleiben und ihre schwachen Kräfte weiterhin ihrer Gemeinschaft schenken. Gott lohnte ihren Heroismus: Seit Jahren schon hatte die Oberin vom Kloster des Guten Hirten in Porto die Gabe der Beschauung besessen. Nun kam der Gute Hirte und tröstete die Dulderin mit den Heimsuchungen seiner Gnade.
Höhepunkt ihrer Mystik wurde der Auftrag, den damals regierenden Papst, Leo XIII., zur Weihe der Weit an das Herz Jesu zu veranlassen. Man kann sich denken, mit welchem Schrecken die bescheidene Klosterfrau diesen Wunsch des Herrn entgegennahm.
Ihr Beichtvater wollte zunächst nichts von dieser Sache wissen.
Einer erneuten Aufforderung Jesu gab er schliesslich nach und erlaubte der Schwester, nach Rom zu schreiben.
Leo XIII., ein Mann hoher und kühler Überlegung, gab keinerlei Antwort. Maria wagte, ein zweites Mal zu schreiben. Wiederum Schweigen des Vatikans. Der Papst nahm sich Zeit, Auftrag und Schreiberin prüfen zu lassen. Das Ergebnis der Untersuchung fiel günstig aus.
1898 empfing der Papst den Bischof von Annecy und gab ihm bekannt, er werde in Kürze die Welt dem göttlichen Herzen Jesu weihen. Die Nachricht kam über eine belgische Zeitschrift in die portugiesische Presse, durch die Maria Kunde erhielt. Die Freude über den Erfolg musste wieder mit grossen körperlichen Leiden erkauft werden. Aber schon nahte der grosse Tag der Weltweihe heran. In Porto bereitete man sich durch ein Triduum auf das Fest vor. Doch wiederum musste Maria verzichten: Am Vorabend des weltweiten Ereignisses starb die Dulderin (8. Juni 1899).
Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts schien die Kirche in Portugal vom Untergang bedroht - die Revolution von 1910 war nur das Ende einer langen Entwicklung. Aber der religiöse Frühling, den Fatima brachte, musste durch heiliges Leben und Dulden verdient werden. Und so gehört die deutsche Klosterfrau nicht nur der Weltkirche, sondern sie brachte mit ihrem Leben und Leiden Segen für die Heimat wie für das Gastland.
Am 1. Februar 1975 hat Papst Paul VI. die Mystikerin selig gesprochen und damit ihren heroischen Einsatz für die Ärmsten der Armen und ihre Sendung für die Weltkirche anerkannt.

 

8. Kaiser Karl von Österreich


Für viele unserer Zeitgenossen ist Politik "ein schmutziges Geschäft". Luthers Satz "alle Obrigkeit kommt von Gott" wird heutzutage von der populären "Befreiungstheologie" radikal in Frage gestellt. Mit der Idee eines Herrschers von Gottes Gnaden und eines gesalbten Königs wissen wir kaum mehr etwas anzufangen. Vielleicht haben wir uns damit auch von einem guten Teil an Heuchelei und Liebedienerei befreit, mit denen frühere Generationen zu leben hatten. Dennoch kennt die Katholische Kirche, welche die Lebensläufe ihrer "offiziellen" Heiligen und Seligen in langen, über die Einflüsse der Tagespolitik erhabenen Kanonisierungsprozessen äusserst gründlich und kritisch prüft, eine Reihe von Herrschern der abendländischen Geschichte, die als Heilige anerkannt werden.
Möglicherweise der historisch jüngste "Anwärter" auf solchen Status ist der letzte Kaiser von Österreich, dessen Seligsprechungsprozess 1949 eingeleitet worden ist. Durch seinen Tod auf Madeira und seine Beisetzung in der dortigen Kirche Nossa Senhora do Monte steht er in enger Beziehung zu Portugal.
Karl von Österreich wurde als Grossneffe des Kaisers Franz Josef am 17. August 1887 auf Schloss Persenbeug in Niederösterreich geboren.
Die Schüsse von Sarajevo machten ihn zum unmittelbaren Thronfolger.
Als Franz Josef 86-jährig im November 1916 starb, wurde der erst 29-jährige Karl Kaiser von Österreich und König von Ungarn. Sein Erbe war nicht beneidenswert. Die Osterreichisch-Ungarische Monarchie hatte in diesem blutigsten Jahr des Ersten Weltkieges gegen eine Million Mann seiner Wehrmacht an Gefallenen, Schwerverwundeten, Gefangenen und Überläufern verloren.
Die Kriegsmüdigkeit weiter Kreise der Bevölkerung erkennend und teilend, streckte Karl im Früjahr 1917 über den Bruder seiner Gemahlin Zita, Sixtus v. Bourbon - einem Offizier auf gegnerischer Seite in der belgischen Armee - Friedensfühler nach Paris aus. Konkretere geheime Friedensverhandlungen wurden im Dezember 1917 in der Schweiz mit General Smuts als Vertreter des Britischen Reiches geführt. Ungeschicklichkeiten auf beiden Seiten führten im April 1918 zur Veröffentlichung des "Sixtus-Briefes" in Paris, was Karl bei den Deutschnationalen beider Reiche sehr schadete, hatte er doch darin zugesagt, mit seinem "ganzen persönlichen Einfluss bei meinem Verbündeten die gerechte französische Zurückforderung Elsass-Lothringens zu unterstützen." Im August 1918 besuchte Karl den deutschen Kaiser Wilhelm II. und drängte, "wir müssen Frieden schliessen, sonst werden es unsere Völker über unsere Köpfe tun". Zu spät setzte Karl gegen viele interne Widerstände im Oktober sein "Völkermanifest" durch, wonach "Österreich zu einem Bundesstaat werden soll, in dem jeder Volksstamm aus seinem Siedlungsgebiet sein eigenes staatliches Gemeinwesen bildet". Militärische Auflösung und politischer Zerfall waren aber nicht mehr aufzuhalten, Ende Oktober erklärte die kurz vorher gebildete "provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich" die deutschsprachigen Siedlungsge-biete der Monarchie zum "Bestandteil der deutschen Republik".
Am 4. November revoltierten die Matrosen der deutschen Flotte in Kiel, am 9. dankte Wilhelm II. ab, am 11. unterzeichnete Karl eine Kundgebung mit der Erklärung, "ich verzichte auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften", ohne formell abzudanken. Dies war das Ende der 630 Jahre währenden Habsburgerherrschaft in Mitteleuropa. 
Nach einem mit der Familie auf Schloss Eckartsau im Marchfeld bei Wien verbrachten Winter erhielt Karl Exil in der Schweiz, von wo aus er im März und im Oktober 1921 zwei Restaurationsversuche in Ungarn unternahm. Unter dem Eindruck der Einmarschdrohung von Tschechoslowaken, Rumänen und Südslawen sowie der möglichen Aufteilung auch Rest-Ungarns durch die Nachbarn trat Reichsverweser Admiral von Horthy (er hat seine letzten Lebensjahre in Estoril verbracht, wo er auch starb und auf dem englischen Friedhof in Lissabon beigesetzt wurde), früher einer der getreuesten Paladine Karls, dessen Schar mit bewaffneter Macht entgegen. Nach dem Scheitern dieses zweiten Versuches der Wiederherstellung der Monarchie verbannten die Alliierten Karl nach Madeira, wo er im November 1921 eintraf.
Der Kaiser hatte während der letzten Kriegsjahre auf sparsamste Haushaltsführung gedrängt und, wie es scheint, auch den Grossteil des persönlichen Vermögens zur Linderung der Kriegsnot ausgegeben. Auf Madeira kam ihm so der Aufenthalt im Hotel bald zu teuer. Ein Bankier stellte Karl und seiner Familie die Quinta Gordon zur Verfügung; dort fehlte es ihnen sogar an Geld zum Heizen. Im Spätwinter erkrankte Karl erst an einer Grippe, dann an Lungenentzündung. Am 1. April 1922 kam das Ende des kaum 35-Jährigen. Sein Sohn Otto erinnert sich noch an das gelöste, beinahe heitere Sterben des Vaters, ohne Vorwürfe und Bitterkeit gegen irgendjemanden oder die Härte des Schicksals. Diese Gottergebenheit, die persönliche Frömmigkeit, ein vorbildliches Familienleben, das Mitleiden mit den Opfern des Krieges, der Einsatz des Vermögens, um einigen dieser Opfer zu helfen, und die tiefe tätige, wenn auch politisch nicht immer geschickt bekundete Friedenssehnsucht sind die Verdienste des letzten österreichischen Herrschers gewesen, welche nach dem Zweiten Weltkriege einen in der "Kaiser-Karl-Gebetsliga" zusammengeschlossenen Anhängerkreis bewogen haben, seine Seligsprechung zu betreiben. 
Die Kirche Nossa Senhora do Monte, hoch über Funchal gelegen, birgt das Grab des Kaisers. Madeira wie die Azoren gehören zu unserem Gemeindebezirk; so haben wir die Freude, neben der seligen Maria Droste zu Vischering zwei Mitglieder des Hauses Habsburg, Kaiser Karl und Michaela Margaretha von Österreich, zu den Unseren zu zählen. Ob Karl immer in Funchal ruhen wird, ist nicht sicher. Schon wartet für seine sterblichen Reste ein Ehrenplatz in der Kapuzinergruft in Wien, wo so viele grosse Habsburger der Auferstehung harren.